Italien

Schlechtes Zeugnis für Italiens Schulen

Ein Artikel von Georg Binder | 24.04.2019 - 08:05

Der angesehene Umweltverband „Legambiente“ mit Sitz in Rom untersucht regelmäßig das „Ökosystem Schule“ in Italien. Dabei werden die Qualität der Schulgebäude, die Infrastruktur und die angebotenen Dienstleistungen erfasst und bewertet. Kriterien für die Beurteilung sind unter anderem das Errichtungsjahr der Gebäude, der Einsatz erneuerbarer Baustoffe und Energieträgern, die Energieeffizienz sowie die statische Sicherheit gegen Erdbeben. In dem bereits zum neunzehnten Mal herausgegebenen Bericht aus dem Jahr 2018 wurden mehr als 5700 Schulen mit 1,2 Millionen Schülern in 90 Provinzhauptstädten untersucht.

Bozen und Trient führend

Wenig überraschend, zeigt das Ergebnis, dass die Schüler in Süditalien mit Schulen auskommen müssen, die weit weniger Qualität aufweisen als jene im Norden und Zentrum des Landes. Die besten Schulen befinden sich in Südtirol, genauer gesagt, in Bozen (92,8 von 100 möglichen Punkten) und Trient (88,95). In den vergangenen fünf Jahren wurden dort von der Region durchschnittlich 175.000 € je Schulgebäude in die Aufbesserung des Bestands investiert.

Der Anteil ökologischer Baustoffe (Stichwort: Bioedilizia) liegt in Südtirol bei 6 % und ist damit italienweit führend. Schlusslichter in der Bewertung der Provinzhauptstädte sind die Schulen in Messina (22,39), Foggia (24,51) Latina (25,50) und Palermo (26,43).

Gebäudebestand deutlich überaltert

Mehr als 60 % der untersuchten Schulgebäude wurden vor 1974 errichtet – dem Jahr, indem erstmals rechtliche Vorschriften für erdbebensicheres Bauen in Kraft traten. Magere 5 % der aufgenommenen Schulgebäude entstanden von 2000 bis 2017.

Bei knapp der Hälfte der erfassten Gebäude wurde in den vergangenen fünf Jahren in deren Instandhaltung investiert. In einem Fünftel der Bauten wurden die Decken untersucht, als vorbereitender Schritt für eine Sanierung. Im Schnitt wurden italienweit an außerordentlichen Sanierungsarbeiten 14.000 € und an ordentlichen Erhaltungsarbeiten 6790 € je Gebäude aufgewandt.

Sicherheit mangelhaft

Die erhobenen Daten über das Vorhandensein vorgeschriebener Sicherheitsnachweise zeigen enorme Mängel. Nur 42 % der untersuchten Schulen verfügten über ein Brandschutzzertifikat. Den Nachweis der statischen Sicherheit des Gebäudes konnten nur 54 % der Schulen erbringen. Diese Zahlen blieben in etwa auf dem gleichen Niveau wie vor fünf Jahren. Rund 34 % aller Gebäude wurden eigens auf Bebensicherheit überprüft. Regional geschah dies allerdings sehr unterschiedlich: So wurden alle Schulgebäude beispielsweise in der Region Südtirol überprüft, nur 2,4 % hingegen in Sizilien, obwohl dort nahezu alle Schulgebäude in einer Risikozone für Erdbeben stehen.

Keine ökologischen Baustoffe

Knapp 1 % der aufgenommenen Gebäude erfüllt die Kriterien der „Bioedilizia“, erstellt mit erneuerbaren Baustoffen. Dieser Anteil blieb in den vergangenen fünf Jahren nahezu unverändert. Ebenfalls 1 % der erfassten Gebäude befindet sich in der niedrigsten Energieeffizienzklasse (A), 45 % liegen abgeschlagen in der höchsten Klasse (G). Bei der Beleuchtung dominiert die Neonleuchte, 62 % der Schulgebäude werden so lichtmäßig versorgt. Immerhin 18 % aller Schulgebäude beziehen ihre Energie von erneuerbaren Energieträgern.

Leicht abnehmend, aber weiterhin hoch ist die Überwachung betreffend Asbest in den Schulgebäuden: Knapp 83 % der Gemeinden führten diese durch. Ein Drittel der Gemeinden prüft regelmäßig das Vorhandensein von Radon in der Innenraumluft.

Dringende Maßnahmen

Die „Legambiente“ fordert rasche Maßnahmen ein, um bessere und vor allem sichere Schulen für alle Schüler zu schaffen:

  • die Bestandsaufnahme aller Schulgebäude hinsichtlich ihrer statischen Sicherheit in den Erdbebenrisikozonen rasch zu vervollständigen
  • die Erstellung eines Aktionsplans durch das Bildungsministerium, um rasch die notwendigen Ertüchtigungsmaßnahmen festzulegen
  • die Errichtung eines Garantiefonds mit rund 100 Mio. € jährlich bis 2021 für die Gemeinden zur statischen und energetischen Ertüchtigung der Schulen

(Quelle: XIX Rapporto Ecosistema Scuola – sulla qualità dell`edilizia scolastica, delle strutture e dei servizi, Legambiente, Rom 2018.)

Werkstätten der Zukunft

Italien ist eines der höchst entwickelten Industrieländer der Welt. Ist es erklärbar, dass die Schulen dieses Landes nicht sicher sind? Dass für den Erdbebenschutz nicht alles technisch Mögliche gemacht wird? Dass wertvolle Energie verschwendet wird? Dass beim Schulbau kaum ökologische Materialien zum Einsatz kommen? Es ist nicht wirklich erklärbar, aber die Wirklichkeit.

Die Erfahrungen des DACH-Raums, wo Zu-, Um- und Neubauten von Schulen in Holz bereits „state of the art“ sind, wären leicht zu nutzen. Rasche Bauzeit durch hohe Vorfertigung, Bebensicherheit durch Leichtigkeit und Stabilität, Energieeffizienz und gutes Raumklima sprechen für den Holzweg als Erneuerung. Südtirol geht voran. Unter der Regierung Renzi wurde das Programm „La Scuola Sicura“ aufgelegt, mit ersten kleinen Erfolgen. Nun stockt es wieder: kein Plan, kein Geld. Italiens Schüler verdienen bessere und sichere Schulen auch im Süden, denn die Schüler von heute prägen die Gesellschaft von morgen.