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Martin Handler, Stippl Fensterbau © Robert Kittel

Wien

„Dass du dich das traust …“

Ein Artikel von Robert Kittel | 05.09.2019 - 08:26

Die Reaktionen auf seinen Brief hätten ihn dann doch überrascht, er habe nicht damit gerechnet, erzählt Martin Handler im Interview:

„Mich haben Kollegen und Freunde angerufen und gesagt: Dass du dich das traust, einen klaren Schlussstrich zu ziehen – die haben mir gratuliert und gemeint, sie würden das auch gerne machen.“

Aber warum gibt jemand einen offensichtlich gesunden und blitzsauberen Betrieb mit moderner Ausstattung auf?

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Warum gibt jemand so einen modernen Fensterbaubetrieb auf? © Robert Kittel

„1993, als ich als Betriebsleiter bei der Firma Stippl angefangen habe, gab es im Wiener Raum noch eine große Dichte an Tischlereien. Alle waren sehr gut beschäftigt, es gab große Hausverwaltungen, große Rahmenaufträge.“ Und er setzt ernst fort: „Es steht heute vieles in Ausschreibungen, wo man sagen muss, als Unternehmer darf ich das gar nicht unterschreiben, weil es gegen die guten Sitten ist.“ Er sei kein Nostalgiker, sondern denke wirtschaftlich, betont Handler: „Die früher gelebte Partnerschaftlichkeit ist in den vergangenen 15 bis 20 Jahren abhandengekommen. Es war genug für alle da, jeder konnte leben. Es gab bei Auftraggebern noch ein Bewusstsein, wir müssen auf die regionale Wirtschaft schauen, weil es um Wertschöpfung in der Stadt geht. Weil das heute egal ist, wurden bereits viele Arbeitsplätze und Unternehmen ausradiert. Nur um ein paar Euro bei einer öffentlichen Ausschreibung zu sparen, nimmt man wissentlich höhere Soziallasten und entgangene Steuereinnahmen in Kauf.“

Glauben Sie wirklich, dass es rund um Wien überhaupt nicht mehr möglich ist, eine Bautischlerei zu betreiben?

„Ich bin der Meinung, es gibt da nicht viele Chancen. Du brauchst einen optimalen Standort und gute Mitarbeiter. Und selbst wenn das da ist – wir zum Beispiel haben einen megageilen Standort, direkt an der Hauptverkehrsader in einem der größten Industriezentren, wir haben gute Mitarbeiter – da müsste sich dennoch an den Rahmenbedingungen massiv etwas ändern.“

Gibt es denn noch Nischen für Bautischler in Wien?

„In einer Größe von bis zu 10 Mitarbeitern kann man seine Nische finden. Aber da produzierst du keine Fenster mehr, du handelst und montierst sie. Da stellt sich nur noch die Frage: Wo kaufst du deine Fenster.“ Seit etwa fünf Jahren ist Handler auch Bezirksinnungsmeister: „Wenn mir ein Kollege allen Ernstes erklärt, er sei mit Kunststofffenstern, die in Österreich hergestellt werden, nicht mehr wettbewerbsfähig, er müsse die auch schon in der Slowakei kaufen – da kann ich nur sagen: Gratuliere, Herr Kollege!“ Und Handler fügt etwas weniger sarkastisch hinzu, man könne sehr wohl auch in Wien Fenster herstellen: „Aber man muss sie anders vermarkten als früher. Wenn ich heute google, habe ich sofort zehn Fensterhändler. Die Kundschaft kommt nicht mehr zu dir, der ist es leider derzeit auch egal, wo die Fenster produziert werden, die sucht sich ihre Fenster im Internet.“

Also Regionalität als Alleinstellungsmerkmal mit digitalem Vertrieb?

„Im ländlichen Bereich, wo noch eine gewisse Wertschätzung der Regionalität da ist, brauche ich das Internet nicht. Wien und sein Umland sind anders.“

Warum steigen Sie aus?

„Auf die vergangenen 30 Jahre bin ich sehr stolz, ich habe die Firma Stippl 1996 übernommen und daraus ein Unternehmen gemacht, das seit 23 Jahren nur schwarze Zahlen schrieb. Ich sehe aber zukünftige Einbrüche. Wenn sie schauen – wer kommt denn heute auf die Baustellen in Wien? Polen, Bulgaren und Rumänen. Wer glaubt, unter diesen veränderten Bedingungen noch wirtschaftlich sein zu können, belügt sich selbst. Man muss auch loslassen können, geschickt und mit Hausverstand.“ Er habe zwei Optionen: „Das war kein spontaner Entschluss, sondern nüchtern geplant. Es gibt Gespräche mit mehreren Interessenten wegen eines Kaufs des kompletten Maschinenparks und Inventars. Aber auch die Vermietung der Gewerbeimmobilie ist die Zielsetzung. Der Standort ist megaattraktiv.“

Sie wirken aber nicht so, als wollen Sie sich ins Privatleben zurückziehen?

Handler lacht: „Nein, das wär nichts. Es war schön in den vergangenen 30 Jahren – mit zeitweise bis zu 50 Mitarbeitern, mit Partnern und Kollegen. Wenn ich was Neues mache, dann klein und fein. In einer neuen Branche, mit einer neuen Tätigkeit.“