Carbonauten

Sägerestholz wird zu Formteilen

Ein Artikel von Remo Bühler | 17.08.2022 - 14:59
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Die Gründer des Start-ups: Christoph Hiemer und Torsten Becker (v. li.) © Carbonauten

Christoph Hiemer und Torsten Becker gründeten das Unternehmen 2017. Ausschlaggebend war ihre Faszination für die Eigenschaften des Biokohlenstoffs. Beiden Gründern war es zudem wichtig, sich sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen. Die CO2-Senkenfunktion ihrer produzierten Formteile steht für die Gründer deshalb im Mittelpunkt. Denn „jede produzierte Tonne Kohlenstoff speichert bis zu 3,3 t CO2“, erklärt Becker. Grund ist der Verkohlungsvorgang im Rahmen der Produktion.

Wie werden die Produkte hergestellt?

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Eines der Retortenmodule, mit denen die Gründer Biomasse zu Kohlenstoff verarbeiten © Carbonauten

Die Produktion der Formteile und des Pyrolyseöls erfolgt in den folgenden Schritten:

  • Befüllung der Retorten genannten, luftdichten Kessel mit holziger Biomasse.
  • Erhitzung dieser auf 450° C bis 700° C. Nach der einmaligen Befeuerung mithilfe einer externen Energiezufuhr geschieht dies durch die Verbrennung von 5 % des während der Verkohlung entstehenden Pyrolysegases.“
  • Entleerung des Kohlenstoffs aus den Retorten. Auffangen des Pyrolyseöls.
  • Destillation des Pyrolyseöls. Hierbei entstehen unterschiedliche Fraktionen.
  • Zermahlen des Kohlenstoffs und vermischen dessen mit Bindemitteln.
  • Produktion der Formteile durch Spritzguss.

Als Bindemittel kommen unterschiedliche fossile und biologisch abbaubare Mittel infrage. Ausschlaggebend sind die Anforderungen an das Endprodukt.

Für einen reibungsfreien Rundlauf müssen mindestens drei Module mit je zwei Retorten installiert werden. Sinnvoller sind jedoch fünf Module mit dann zehn Kesseln.

Verwendung der Formteile

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Aus Hackschnitzeln werden Formteile: Das Start-up Carbonauten verarbeitet Biomasse zu Kohlenstoff. Vermischt mit Bindemitteln können daraus Produkte wie zum Beispiel Anschlussstücke für Gartenschläuche hergestellt werden © Carbonauten

„Wir können unterschiedlichste Teile herstellen“, erklärt Becker. Zielmärkte seien die Land- und Forstwirtschaft, der Automobil- und der Maschinenbau, das Transportwesen und die Energiewirtschaft - zudem die Kunststoffverarbeitung und die Bauwirtschaft.

Als konkrete Beispiele für die Produktvielfalt nennt Becker:

  • Fahrzeugreifen und Fußmatten
  • Anschlussstücke für Gartengeräte
  • Besteck, Geschirr und Tabletts
  • Wandelemente und Fensterrahmen
  • Plattenwerkstoffe und Rohre
  • Biologisch abbaubare Pflanztöpfe
  • Wuchshüllen und Mulchfolien
  • Möbel und Paletten

Die Produkte bewähren sich durch ihre hohe Härte, Steife und Dimensionsstabilität sowie Temperatur- und UV-Beständigkeit.


Torsten Becker, Geschäftsführer des Start-ups Carbonauten

Ein weiterer Vorteil liegt laut Becker in der Gewichtsreduktion: „Gegenüber konventionellen Produkten reduziert sich das Gewicht um bis zu 20 %.“

Außerdem lobt der Unternehmer das Wasserbindungsvermögen sowie die beeinflussbaren Leit- und Oberflächeneigenschaften und die niedrigen Preise.

Nutzung von Pyrolyseöl und Wärme

Die Eigenschaften des Pyrolyseöls versetzen Becker ins Schwärmen: „Seine Wirkungen sind erstaunlich und werden seit Jahrhunderten in Asien genutzt.“

Mit dem Öl behandelte Bäume würden von Borkenkäfern und Rehwild gemieden. „Es ist ein Vergrämungsmittel und wirkt auf Tiere abstoßend“, erläutert Becker. Außerdem steigere das Destillat, mit Pflanzenkohle angereichert, das Wachstum von Pflanzen. Unkrautvernichtungsmittel wären zugleich nicht mehr notwendig. Auch als Holzschutzmittel eigne sich das Öl. In die Gülle gemischt verringerten sich die Emissionen der Fäulnisgase. Auch diese Wirkung schütze das Klima. Bei einer Fraktion des Pyrolyseöls handle es sich um Naturbitumen. Dieses können für die Asphaltproduktion genutzt werden. „Wegen des rauchigen Geruchs“, ist die Lebensmittelindustrie laut Becker sehr interessiert.

Im Rahmen der Produktion fällt laut den Gründern zudem Prozesswärme an. Beide erläutern: „Eine Anlage mit drei Modulen produziert 24 GWh/J Wärme. Daraus können auch 10 GWh Strom oder 110 t Wasserstoff gewonnen werden.“

Welche Rohstoffe kommen infrage?

„Unsere Pilotanlage in Eberswalde betreiben wir mit Sägerestholz. Grundsätzlich kommt aber jegliche holzige Biomasse infrage“, erklärt Becker. Möglich sei deshalb auch der Einsatz folgender Ausgangsstoffe:

  • Waldhackschnitzel
  • Altholz der Kategorien A1 bis A4
  • Nussschalen und Kernen
  • Pressresten, zum Beispiel aus der Olivenölherstellung
  • Siebüberlauf aus der Grünschnittaufbereitung
  • Wurzelstöcken

Gröbere Rindenstücke sind laut Angaben des Unternehmens grundsätzlich denkbar. Sägemehl hingegen ist zu fein, denn die Partikelgröße muss zwischen 5 und 300 mm liegen. Der Wassergehalt darf höchstens 20 % betragen, kann aber auch heruntergetrocknet werden.

Innerhalb von sechs Stunden können wir die Produktion auf wechselnde Rohstoffe umstellen.


Torsten Becker, Geschäftsführer des Start-ups Carbonauten

Im Regelfall soll das Material gehackt angeliefert werden. Mit mehr Aufwand kann die Anlage noch flexibler bedient werden. Die Abnahme der Rohstoffe garantiert das Unternehmen vertraglich. Lieferanten können zudem die Abwärme nutzen und zu günstigen Konditionen CO2-Zertifikate erwerben. Die Produkte können zu Vorzugspreisen erstanden werden

Standorte und deren Anforderungen

„Aktuell sind 60 Standorte in der engeren Wahl. Bis 2030 möchten wir 100 Anlagen in Betrieb nehmen“, ist Becker optimistisch. Ein Standort für eine Anlage mit drei Modulen müsse folgenden Kriterien entsprechen:

  • Verfügbarkeit von 15.000 t-atro/J Biomasse. Einkaufsradius 50 bis 70 km.
  • Platz für eine 1000 m2 große und 10 m hohe Halle.
  • Platz für eine 4000 m2 große Lagerfläche.
  • Ein Abnehmer für die gefertigten Produkte in räumlicher Nähe.

Die Akquise potenzieller Standorte erfolge in der Regel in Zusammenarbeit mit Kommunen. Installierte Anlagen bleiben laut Becker im Besitz des Start-ups. Ein Kauf der Technologie sei nicht möglich.