Technikum Laubholz

Ab 2023 wird es konkret

Ein Artikel von Remo Bühler | 07.10.2022 - 17:07
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Ludwig Lehner, Vorstandsvorsitzender, Technikum Laubholz, Blaubeuren/DE © Martin Stollberg

Vor allem im Bereich der faserbasierten Biopolymerwerkstoffe liegen verwertbare Ergebnisse vor. Ab 2023/24 soll das auch für das Feld der Biotechnologie gelten. Allgemein lädt Lehner alle interessierten Unternehmen zu einem Besuch des Technikums ein. Dann können Möglichkeiten zur Zusammenarbeit erörtert werden. Seine Antworten auf die Fragen des Holzkuriers versprechen hierzu viel Potenzial.

Herr Lehner, im Februar 2020 wurde das Technikum Laubholz gegründet. Welches Ziel verfolgt die baden-württembergische Landesregierung damit?

Ziel des Landes ist es, die biologische Transformation industrieller Fertigung zu beschleunigen. Dabei hat man mit der Einrichtung einer eigenen außeruniversitären Forschungseinrichtung ganz bewusst den Schwerpunkt auf die Umsetzung von Innovationen bei Laubholz und nachwachsenden Rohstoffen gesetzt. Neue Verfahren und Produkte sollen nach allen Kriterien der Nachhaltigkeit entwickelt werden. Die Wertschöpfung in der Wertkette Wald-Laubholz soll möglichst ohne Schadschöpfung erhöht werden. Dem Holz und insbesondere Laubholz solle eine neue Wertschätzung gegeben werden. Innovationen, Investitionen und Ausgründungen beziehungsweise Gründer mit Anwendungsfokus auf Laubholz sollen bevorzugt gefördert werden. Bioproduktwerke als neue Form der Wertschöpfung sollen in Baden-Württemberg, Deutschland und international etabliert werden.

 

Um das Vorhaben zielstrebig umzusetzen, wurden zukunftsweisende Forschungsfelder identifiziert. Welche Kriterien wurden dabei angelegt und auf welche Bereiche konzentriert sich die Arbeit des Technikums?

Die Forschungsfelder und -themen wurden und werden nach dem Kriterium Wirkung ausgewählt. Unser Slogan lautet: „Entdecken, machen, wirken“. Wir bewerten im Rahmen unseres Innovationsmanagements auf allen drei Ebenen der Nachhaltigkeit nach Innovationskraft und -potenzial, Transformationspotenzial gemessen an ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien und Umsetzungsdauer. Ein Produkt oder Verfahren mit hohem ökonomischem Wertschöpfungspotenzial käme also bei gleichzeitig hohem ökologischem oder sozialem Schadschöpfungspotenzial nicht zum Einsatz. Deswegen konzentrieren wir uns in der ersten Ausbaustufe auf vier Bereiche. Erstens auf faserbasierte Biopolymerwerkstoffe und hier konkret auf die Herstellung von Textilfasern aus Cellulose sowie von Carbonfasern aus Cellulose und Lignin. Zweitens auf umweltverträgliche Holzaufschlussverfahren auf Basis von Industrieholz. Der dritte Bereich bezieht sich auf holzbasierte Verpackungsmaterialien. Das vierte Thema ist die biotechnologische Konversion, wobei Biotenside und Proteinstämme im Mittelpunkt stehen. Künftig werden an unserem Technikum auch die Bereiche intelligente Fabrikation, Leichtbau, Holz, Papier, Holzwerkstoffe und Energiespeicherung aufgebaut.

An vielen baden-württembergischen Universitäten und Hochschulen wird ja bereits intensiv mit dem Werkstoff Holz geforscht und experimentiert. Welche Rolle nimmt das Technikum hierbei ein?

Wir arbeiten eng als Kooperations- oder Projektpartner mit den Universitäten, Hochschulen und Instituten zusammen. In der Regel übernehmen wir dort, wo diese Einrichtungen mit der Grundlagen- beziehungsweise Anwendungsforschung aufhören. Das heißt, wir nehmen interessante und für uns attraktive Forschungsergebnisse auf und versuchen, diese dann beschleunigt zur Industriereife zu bringen.

Zu unseren Lesern gehören viele Entscheidungsträger aus der Holzindustrie. Darunter Inhaber und Vertreter großer Konzerne, aber auch KMU. Was müssen diese tun, um die an Ihrem Technikum weiterentwickelten Produkte marktreif herstellen zu können?

Viele aus der Holz-/Papier-/Zellstoffbranche kennen mich. Bitte einfach melden. Wir nehmen uns für alle Anfragen Zeit und prüfen gerne eine mögliche Zusammenarbeit, eine Projektpartnerschaft, eine Entwicklungspartnerschaft, eine gemeinsame Ausgründung oder auch eine mögliche Lizenzvergabe.

In welchen Forschungsfeldern kann Ihr Technikum bereits spruchreife Ergebnisse vorweisen?

Wir sind im Forschungsfeld „Faserbasierte Biopolymerwerkstoffe“ in zwei Projekten weit fortgeschritten. In einem Projekt geht es um die Erzeugung von Hochleistungsfasern aus Cellulose für die Textilindustrie. Das ist eine großartige Entwicklung, die alle unsere Kriterien für nachhaltige, innovative Verfahren und Produkte erfüllt und den Textilmarkt in den kommenden Jahren revolutionieren wird. In einem weiteren Projekt geht es um die Herstellung von Carbonfasern aus Holz. Wir werden mit dem Produkt und dem Verfahren im kommenden Jahr auf den Markt gehen können. Wir stellen eine Carbonfaser aus Cellulose mit hervorragenden Eigenschaften für zahlreiche neue Anwendungen zur Verfügung. Anschließend werden wir in der Lage sein, auch eine Carbonfaser auf Basis von Lignin bereitzustellen.

2023/24 folgen erste Produkte und Verfahren aus dem Feld der Biotechnologie. Hier handelt es sich um Biotenside sowie um Proteinstämme zur weiteren Verarbeitung und Verwendung zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie. Wir sprechen hier immer von veganem Käse aus Holz. Wir arbeiten aber auch an zahlreichen Anwendungen für die Holzindustrie, die Holzwerkstoff-, Papier-, Verpackungs- und Zellstoffindustrie. Ich darf die Leser nur ermutigen, sich einfach bei uns zu melden oder einmal bei uns vorbeizuschauen.

Glauben Sie, dass Laubholz in Zukunft auch als Rohstoff für die Mikrochipproduktion dienen könnte? – Gerade in diesem Bereich existieren in Deutschland ja große Abhängigkeiten.

Ich möchte es nicht ausschließen. Leider bin ich hier zu wenig Experte, um eine zufriedenstellende Antwort geben zu können. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass aus dem großartigen Biopolymer Cellulose und dem weit unterschätzten Makromolekül Lignin und auch aus der Hemicellulose in Zukunft Bestandteile für alle Lebensbereiche einer nachhaltigen Welt bereitgestellt werden können.

Denken Sie nur an die Möglichkeiten, einen Energiespeicher ganz aus Holzbestandteilen herstellen zu können oder auch an die Möglichkeit, Holzglas herzustellen. Die Abhängigkeit von seltenen Erden aus sensiblen Herkunftsländern, von fossilen Rohstoffen überhaupt wird mit zunehmend intelligenter Nutzung von Holz und seinen Bestandteilen sinken.

Als Rohstoff für die von Ihren Forschern entwickelten Produkte sollen Sägerestholz und Industrieholz verwendet werden. Denken Sie hierbei auch an Rinde? – ich kann mir vorstellen, dass sich deren chemische Zusammensetzung signifikant vom Holz unterscheidet und somit weitere Möglichkeiten bietet.

Ja, wir arbeiten auch in einem Projekt mit Rinde. Schwerpunkt soll aber tatsächlich die Verwendung von Laubholz in Form von Sägerestholz und Industrieholz sein.

Lange ging man beim Laubholz von großen Nutzungsreserven aus. Neuerdings klagen Verarbeiter und Verbände jedoch über eine Rohstoffverknappung. Fürchten Sie vor diesem Hintergrund um die Umsetzbarkeit Ihrer Forschung in die Praxis?

Diese Sorge begleitet uns nicht. Wir dürfen davon ausgehen, dass sich in Mitteleuropa mit steigender Erderwärmung von Laubholzarten dominierte Klimawälder entwickeln werden. Für die zunehmend entstehenden Durchforstungs- beziehungsweise Industrieholzsortimente und das dann zunehmende Industrierestholz stehen bisher wenig wertschöpfende Verwendungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das können wir ändern!

Im Mittelpunkt der Forschung Ihres Technikums steht zudem die Buche. Aufgrund des Klimawandels empfiehlt die FVA Baden-Württemberg jedoch den Anbau von Baumarten wie Esskastanie, Baumhasel oder Robinie. Werden Sie Ihre Forschung daran anpassen?

Ja, das ist grundsätzlich kein Problem. Es geht bei uns immer um die Entwicklung von Verfahren und Produkten aus Laubholz und nachwachsenden Rohstoffen.

Bisher dominiert die Buche als Laubbaumart. Da alle Bäume aus den Holzbestandteilen Cellulose, Lignin und Hemicellulose bestehen und nur die Anteile variieren, können wir uns hier schnell an veränderte Situationen anpassen.

Mit der Forstlichen Versuchsanstalt in Freiburg arbeiten wir ohnehin gerne und eng zusammen.

Nicht nur in diesem Zusammenhang drängt sich eine Frage auf: Bäume besitzen auch artspezifische Inhaltsstoffe. Spielen diese in Ihrer Forschung eine Rolle – und – wenn ja, – wie wirken sich diese aus? Können Sie Beispiele nennen?

Ja, durchaus. Lignine setzen sich als Makromoleküle bei jeder Holzart, aber auch sogar innerhalb einer Holzart je nach Herkunft, Höhenlage, Bodenzusammensetzung anders zusammen. Das kann zum Beispiel einen Einfluss auf die Herstellung von Aromastoffen, wie Vanillin, haben. Damit beschäftigen wir uns unter anderem.

Landesforstminister Peter Hauk möchte in Baden-Württemberg ein „wood-based valley“ erschaffen. Ihr Technikum soll dessen Keimzelle sein. Bis wann rechnen Sie mit für die Bevölkerung sichtbaren Projektergebnissen?

Sichtbare Ergebnisse wird es bereits ab Mitte des kommenden Jahres geben. Ab 2023 werden jedes Jahr ein oder mehrere Produkte und Verfahren auf den Markt kommen. Deswegen ist das Technikum Laubholz als Keimzelle des „wood-based valley“ von Minister Peter Hauk korrekt definiert. Das ist unser Anspruch.

In Leuna bei Leipzig baut UPM derzeit eine Bioraffinerie. Dort sollen aus Laubholz Biochemikalien gewonnen werden. Können sich unsere Leser ein „wood-based valley“ so vorstellen – nur mehrere solche Anlagen geografisch eng beisammen?

Ziel des Technikums Laubholz ist es, Herstellungsverfahren und Produkte für künftige Bioproduktewerke zu entwickeln.

Hierfür werden möglichst einfache Verfahren entwickelt, die einen geringeren investiven Aufwand für den Anlagenbau erfordern als heute bekannte Anlagen der Zellstoffindustrie oder sogenannter Bioraffinerien. In künftigen Bioproduktewerken haben hohe Wertschöpfung, geringer Investitionsaufwand, dezentrale Produktion, kurze Wege, hoher Grad an Vernetzung höchste Priorität.

Alles richtet sich nach den Kriterien der ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit im Rahmen einer ganzheitlich betrachteten Kreislaufwirtschaft. Schadschöpfung wird möglichst vermieden

Dieses Vorgehen führt zu einem wesentlichen Punkt heutiger Anforderungen an eine biologische Transformation industrieller Fertigung: Künftig werden wir danach fragen, wie klein eine Anlage gebaut werden kann. Interessant wird es, dass man die Anlage ökonomisch machbar, ökologisch und sozial vertretbar errichten kann. Radikale Skalenwirtschaft und unendliches Wachstum ohne ganzheitliche Nachhaltigkeitsbetrachtung sind nicht Bestandteil einer transformierten nachhaltigen Welt.

Deswegen würde ich als Beispiele für künftige Bioproduktewerke im Sinne einer ernst gemeinten industriellen Transformation gerne Werke von Metsä Äänekoski, Lenzing oder Borregaard als gute Beispiele nennen. Nur eben dezentral, etwas kleiner und mit hoher Wertschöpfung.