Martin Brettenthaler, CEO der Swiss Krono Group und Vorsitzender der Konzernleitung © Swiss Krono Group
Wie hat sich das vergangene Geschäftsjahr für die europäischen Plattenhersteller entwickelt?
2022 haben sich die Produktionsvolumina von Holzwerkstoffen in Europa (EPF-Mitglieder) um 7,8 % zum Vorjahr reduziert, allerdings nur um 0,4 % gegenüber dem Vorpandemieniveau (2019). Dieser Trend setzt sich 2023 unvermindert fort. Als Hauptursache für diese Abwärtsentwicklung sehen wir das geringe Verbrauchervertrauen aufgrund der unsicheren Lage sowie die gesunkene Kaufkraft und die durch die Zinserhöhungen eingeschränkte Finanzierbarkeit vieler, vor allem privater Bauprojekte.
Wir haben Unsicherheiten über Gaslieferungen und Kostensteigerungen im Energie‐ und Rohstoffbereich: Welche Auswirkungen haben diese Herausforderungen für die europäischen Hersteller?
Offensichtlich stehen die Baustoff- und Holzwerkstoff-Industrie vor außerordentlich herausfordernden Zeiten: Zum einen ist die Erwartung an die Baustoffindustrie groß, einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung des Wohnungsmangels und gleichzeitig der Klimakrise zu leisten – beides sind Herausforderungen, für die sich unsere Branche gut gerüstet fühlt und die wir gerne annehmen, wenn die Voraussetzungen stimmen. Zum anderen – und da sind wir bei einer zentralen Problemstellung – verschlechtert sich das Umfeld für europäische (und insbesondere deutsche) Holzwerkstoff-Hersteller dramatisch: In Deutschland werden die Auswirkungen einer großflächig gescheiterten Energiepolitik sichtbar, an die niemand mehr glaubt außer Ideologen in Berlin, und in Europa stehen wir vor einer unglaublich zunehmenden, mittelstandsfeindlichen Regulierungswelle in vielen Bereichen – vom Lieferkettengesetz bis zu immer komplexer werdenden Regulierungen/Eingriffen für Inhaltsstoffe.
Die Energie- und Gaskrise im Besonderen hat zu einer nie dagewesenen Volatilität der Kosten für Rohstoffe geführt. Der Holzpreis ist natürlich auch durch die Energiepreise beeinflusst und im Bereich Harze und Leime ist Erdgas in der Produktion als Rohstoff von zentraler Bedeutung. Diese Volatilität gab es natürlich auch bei den Kosten der Prozessenergie. Dies hat sich wiederum auf die Marktpreise von Holzwerkstoffen durchgeschlagen. Neben der Inflation, der gesunkenen Kaufkraft, den gestiegenen Zinsen und des auch aufgrund der globalen Krisen tiefen Konsumentenvertrauens, hat dieses Auf und Ab zu weiterer Unsicherheit und noch geringerer Planbarkeit von Bauprojekten geführt. Das alles hat die Nachfrage nach Holzwerkstoffen stark abgeschwächt und belastet die wirtschaftliche Situation der Branche erheblich.
Wenn dann gleichzeitig von der Politik vorgetragen wird, dass mehr und mehr Holz zu Energie umgewandelt werden soll und gleichzeitig große Waldflächen zum Schutz der Biodiversität unter Schutz gestellt werden sollen, ist der Sturm für unsere Branche perfekt.
Wie beurteilen Sie die Rohstoffversorgung?
Die Energiepreise sind zwar zwischenzeitlich gegenüber ihrem Höchststand gesunken; sie liegen aber immer noch zwei bis drei Mal so hoch wie früher, sodass dies eine Herausforderung bleibt, an der sich wohl auch mittelfristig nichts ändern wird. Chemikalien sind zwar verfügbar, sie müssen aber ebenfalls zu deutlich höheren Preisen als im historischen Durchschnitt bezogen werden. Die Verfügbarkeit von Holz ist wahrscheinlich unsere größte Herausforderung. Wir haben die Holzverfügbarkeit im EPF deshalb auch zu einem der fünf strategische Kernthemen erklärt. Nicht nur unser Sektor hat eine hohe Nachfrage nach Holz, auch der Energiesektor oder andere Industriesektoren, die Holz verbrennen wollen, um ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, fragen Holz nach. Hinzu kommen die privaten Haushalte.
Der EPF setzt sich deshalb dafür ein, dass mindestens 60 % der europäischen Rundholzernte einer stofflichen Nutzung zugeführt wird, dann in mehreren Kreisläufen kaskadiert und schließlich erst am Ende der stofflichen Lebensdauer zur Energiegewinnung eingesetzt wird. Heute liegt der Anteil der materiellen Nutzung von Holz bei nur 40 % – wir sind deshalb froh, dass in der neuen Erneuerbare-Energien-Richtlinie „RED III“ das Prinzip der Kaskadennutzung erstmals Eingang in einen legislativen Text der Europäischen Union gefunden hat.
Wo sehen Sie die künftigen Herausforderungen für Ihre Branche?
Auch wenn die Zeiten gerade schwierig sind, haben wir ambitionierte Ziele:
- Unsere Industrie kann und will eine Vorbildrolle einnehmen und einen wichtigen Beitrag zum europäischen Green Deal leisten. Gleichzeitig müssen wir Europa reindustrialisieren. Nur mit Wohlstand ist Klimaschutz möglich – aus dem vielerorts propagierten „Entweder-oder“ muss ein „Sowohl-als-auch“ werden.
- Bezogen aufs Klima, kann unsere Industrie einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung des europäischen Immobiliensektors beitragen – wir stehen aber vor diversen Herausforderungen (EU-Taxonomie, CSRD, ESG usw.), bei denen Holzwerkstoffe nicht immer die ihnen gebührende Beurteilung erfahren haben.
- Beim bereits erwähnten Thema Holzverfügbarkeit müssen wir alle dafür sorgen, dass die Argumente für eine steigende stoffliche Verwendung nicht nur in der Holzbranche geteilt, sondern in der breiten Öffentlichkeit verstanden und unterstützt werden.
- Bezogen auf staatliche Regulierung, vertreten wir die Haltung „weniger ist mehr“. Wir unterstützen Vorgaben, aber auf einem Niveau, das zukünftige Investitionen fördert und nicht blockiert.
- Wir wollen mehr Einheitlichkeit der Regeln innerhalb von Europa, vor allem aber auch einheitliche Wettbewerbsbedingen („Level Playing Field“) gegenüber Importen, wie zum Beispiel aus der Türkei.
Wie beurteilen Sie die Auftragslage der europäischen Plattenhersteller?
Zurzeit sind die Kapazitäten in unserer Branche in ganz Europa bei Weitem nicht ausgelastet. In einem kapitalintensiven Wirtschaftszweig wie dem unseren wirkt sich dies sehr stark auf die Rentabilität aus.
Die mittel- bis langfristigen Aussichten für erneuerbare und nachhaltige Baumaterialien sind jedoch nach wie vor gut: Es besteht ein großer Bedarf an neuem Wohn- und Arbeitsraum, da die Bevölkerung vielerorts wächst und sich auch in ihrer Zusammensetzung und ihren Bedürfnissen hinsichtlich des Wohn- und Arbeitsraumes verändert.
Außerdem müssen wir, wenn wir den europäischen Bausektor dekarbonisieren wollen, mehr mit Holz bauen. Dies wird überall erkannt und wird zu einer starken und dauerhaften Nachfrage nach Holzwerkstoffen führen. Wir bleiben also trotz der Schwierigkeiten absolut positiv gestimmt, was die Zukunft angeht.
Welche Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken sehen Sie für das Produkt Holzwerkstoff-Platten?
Aus den zuvor genannten Gründen sehen wir mehr Chancen als Risiken und mehr Stärken als Schwächen. Wenn das Konsumentenvertrauen zurückkehrt, sehe ich eine große Chance, Marktanteile im Möbel-, Bau- und Heimwerkermarkt zu gewinnen, da sich die Verbraucher für unsere klimafreundlichen Alternativen entscheiden werden – was wir in den vergangenen Jahren bereits gesehen haben. Allerdings müssen sich auch Holzwerkstoffe dekarbonisieren, vor allem durch die Entwicklung und den Einsatz neuer, CO2-neutraler Bindemittel, und wir müssen in der Branche an einer Verbesserung der technologischen Rezyklierbarkeit mancher Produkte arbeiten.
Was unternimmt die europäische Plattenindustrie gegen den Klimawandel?
Die Frage müsste eher lauten: Was tun wir denn noch nicht? Unsere Produkte sind natürliche CO2-Speicher. Sie werden mit zunehmendem Einsatz von Sekundärrohstoffen in Anlagen hergestellt, die weitgehend von der Nutzung fossiler Brennstoffe entkoppelt sind. Unsere Rohstoffe stammen aus nachwachsender Forstwirtschaft. Holzwerkstoffe können den Klimawandel abmildern. Direkt durch Dämmstoffe und indirekt, da unsere Produkte zum einen weniger Energie für die Herstellung benötigen als beispielsweise Beton oder Stahl und zum anderen eine natürliche Kohlenstoffsenke sind.
Mit welchen großen Themen beschäftigt man sich beim EPF?
Bereits 2022 haben wir im EPF fünf strategische Ziele festgelegt:
- Role Model Industry – Europa in eine Netto-Null-Wirtschaft verwandeln
- Die Klimaregulierung für unsere Branche nutzen
- Die Kaskadennutzung von Holz als Kernstück der Klimagesetzgebung sichern
- Die natürliche Kohlenstoffspeicherwirkung von Holzwerkstoffen wirklich anerkennen und monetarisierbar machen
- Engagement für den Green Deal vorantreiben und Bauen mit Holz in den Mittelpunkt der Klimapolitik stellen - Holzverfügbarkeit – sicherer Zugang zu unserem wichtigsten Rohstoff
- Bestimmen, wie viel Holz in Europa nachhaltig verfügbar ist, und überprüfen, ob es ausreicht
- Sicherstellung eines gleichberechtigten Zugangs zum Holz ohne marktverzerrende Förderungen
- Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen und politischen Entscheidungsträgern zur Festlegung von EU-Normen für alle Holzarten - Ein harmonisiertes Europa unterstützen und Fragmentierung in der Regulierung vermeiden
- Entwicklung harmonisierter europäischer Normen für Produkte und Anwendungen
- Einigung auf gemeinsame Definitionen für Lebenszyklusanalysen (LCA) für eine fundierte Verbraucherentscheidung
- Aufrechterhaltung und Unterstützung des europäischen Binnenmarktes gegen Abschottungsmaßnahmen und Alleingänge einzelner Mitgliedstaaten - Regulierung – Verteidigung der Industrie gegen übermäßige Regulierung
- Regulierung begrüßen, sofern sie angemessen, wirksam und fair ist; weniger kann aber oft mehr sein
- Positive Zusammenarbeit mit den Behörden, um die europäische Regulierung und Standards mitzugestalten
- Förderung eines evidenzbasierten Ansatzes bei der Festlegung von Grenzwerten.