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Klettern im Waldkindergarten: Die Kinder könnten ausprobieren, worauf sie Lust haben © Wolfgang Simlinger/Holzkurier

Kind sein unterm Blätterdach

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 01.08.2017 - 10:44
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Folgert Duit, Förster und Pädagoge © Wolfgang Simlinger/Holzkurier

Folgert Duit hackt im Wald Brennholz für den Winter. Um genauer zu sein, im lichten Mischwald im Südosten des Tullnerfeldes in St. Andrä-Wördern. Der vierjährige Samuel bringt das Hackgut mit seiner kleinen Scheibtruhe den Hügel hinauf und stapelt es am dafür vorgesehenen Ort. Das bereitet ihm Spaß. Die gleichaltrige Lara wippt in sicherer Entfernung im zur Schaukel umfunktionierten Feuerwehrschlauch, weil sie gerade Lust dazu hat. Maxi und Jan bauen einen Erdtunnel – sie sind auf der Suche nach wertvollen Murmeln, wie sie sagen. Etwa 10 m weiter weg versammelt sich eine Gruppe aus drei- bis sechsjährigen Buben und Mädchen, die ihrer Fantasie malerisch Ausdruck verleihen. Wir befinden uns im „Waldkindergarten“ des Pädagogen und Försters Duit.

In Österreich sind Waldkindergärten noch recht unbekannt. Obwohl das Konzept schon seit über zehn Jahren existiert, gibt es hierzulande nur an die 25 Einrichtungen. In Deutschland sind es weit mehr als 1500. Waldkindergarten ist dabei aber nicht Waldkindergarten: Das Spektrum reicht vom ganzjährigen Spiel unter freiem Himmel, auch zur kalten Jahreszeit, über teilweise Tätigkeiten in befestigten Gebäuden bis hin zu Regelkindergärten, die fixe Zeiten für das Spielen im Wald eingeplant haben.

Bei Duits Kindergruppe handelt es sich um die erstere Form. Die berechtigte Frage der neugierigen Besucher: „Auch in diesem harten Winter bei –17° C waren die Kinder ständig draußen?“ Der Erlebnispädagoge antwortet: „Wirklich unangenehm ist es nur, wenn es kalt und feucht zugleich ist. Kälte und Schnee sind keine Probleme, die Kinder sind ja ständig in Bewegung.“ Also, die Antwort lautet: ja. Zwischendurch können sich die Kleinen im hölzernen, circa 20m2 großen Unterstand mit mittig angeordneter Feuerstelle aufwärmen.

Der Wald stellt unstrukturiertes Material zur Verfügung, das sich besonders zum kreativen Spielen eignet.


Folgert Duit, Förster und Pädagoge

Hühner, Schafe und Tipis

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Bienen, Schafe und Hühner: Im Waldkindergarten hat der sorgsame Umgang mit Tieren und Natur große Bedeutung © Wolfgang Simlinger/Holzkurier

Seit 2005 betreibt der gebürtige Ostfriese den Waldkindergarten teilweise auf gepachteter Fläche, teilweise auf eigenem Grund und Boden. Damit war er einer der ersten in Österreich. Mit den umliegenden Waldbauern besteht wohlwollende Übereinkunft.

Treffpunkt ist täglich hinter der Kirche. Sind alle versammelt, marschiert die Gruppe gemeinsam mit ihren Betreuern entweder zum sogenannten Basislager oder in den freien Wald. Heute gehen wir in die „Zentrale“, wie es eines der Kinder einmal genannt hat. Wie lange dauert der Aufstieg? „Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal stehen wir eine Stunde bei den Hühnern“, erklärt der 61-Jährige. Die Hühner haben ihre Behausung am Weg in den Wald, wo auch Bienenstöcke und Schafe untergebracht sind. „Die Schafe scheren wir gemeinsam mit den Kindern.“ Wissen über die Tiere und die Natur bekommen Drei- bis Sechsjährigen, wenn sie Fragen haben. „Frontalunterricht und Waldkunde gibt es nicht. Das Interesse kommt aber tatsächlich von selbst.“

Unterstände, Hängematten, Seile und Schaukeln, Sitzmöglichkeiten, ein kleines Tipi, viele selbst gebastelte Klettermöglichkeiten und eine Biokomposttoilette befinden sich hier im Basislager – viele Optionen, die alle nach der gemeinsamen Frühstücksjause vielfältig annehmen.

Waldluft passt zu freien Entscheidungen

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Spiel und Spaß, Arbeit und Wissen: Samuel kam selbst auf die Idee, das gehackte Holz für den Winter an den passenden Ort zu bringen © Wolfgang Simlinger/Holzkurier

Dass die Kinder hier viele Freiheiten genießen, heißt aber nicht, dass es keine Regeln gibt. Der respektvolle Umgang miteinander hat oberste Priorität. Bahnt sich eine Konfliktsituation an, interveniert Duit möglichst schon, bevor diese überhaupt auftritt.

Die Unterstützung von Renate und Niklas, welche die Kinder ebenfalls betreuen, ist ihm dabei sicher. Das Spiel wirkt frei, aber nicht chaotisch. Jedes Kind geht seinem Interesse nach, gemeinsam mit anderen oder allein. Wenn sich Edi und Samuel ihre Jause aus ihrem Rucksack schnappen, am Jausentisch Platz nehmen und gemeinsam ein Album mit gesammelten Spielkarten ansehen, passiert dies ohne Zutun von Erwachsenen. Still beschäftigen sie sich selbstständig. Ziel dieses freien Spiels ist neben der Bewegung in der Natur unter anderem auch die Förderung von Eigenverantwortlichkeit, Sozialkompetenz, Kommunikationsfähigkeit und Selbstbewusstsein. Spielzeug im herkömmlichen Sinn gibt es hier nicht. Es gibt Werkzeug, wie Schaufeln, Hacken oder Scheren, die zweckführend zum Einsatz kommen. Angelehnt ist die Methode an das Konzept von Rebeca und Mauricio Wild. Das Ehepaar wollte ihren Söhnen eine Umgebung bieten, in welcher sie auf natürliche Weise ihr komplettes Potenzial entfalten konnten. Daraus entwickelte sich ein Schulkonzept, dessen Grundidee hier im Kindergarten umgesetzt wird.

Gesundheitsaspekt nicht unwesentlich

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Nur selten im Basislager: Meistens ist die Gruppe im Wald unterwegs – je nach Wetterlage und Belieben der Kinder planen die Pädagogen jeden Tag spontan © Wolfgang Simlinger/Holzkurier

Ein Gewinn sind Waldkindergärten überdies für die Gesundheit. Was für Kinder, die am Bauernhof aufwachsen, oft ganz selbstverständlich ist, ist in Städten oder bürgerlichen Haushalten nicht Usus. Heute weiß man: Bewegung in der Natur im Kindesalter wirkt sich generell positiv auf die physische und psychische Verfassung aus. Nicht nur temporär, sondern nachhaltig. Die Mischung aus Waldluft und Bewegung stärkt die Abwehrkräfte und beugt chronischen Krankheiten und Allergien vor. Zusätzlich wird die mentale und kognitive Entwicklung der Kinder gefördert. Das Spiel in der Natur verbessert Konzentration, Kreativität und Immunsystem. So sollen Kinder im Waldkindergarten weniger oft krank sein, belegt eine deutsche Studie. Zudem sei ihre Konzentrationsfähigkeit höher und die Grobmotorik besser entwickelt. Nebenbei haben Kinder, die sich viel im Wald bewegen, auch weniger Probleme mit Übergewicht und sind insgesamt zufriedener und ausgeglichener.

Zufrieden und ausgeglichen wirkten die „Waldkinder“ in St. Andrä allemal. Dass das Konzept noch nicht staatlich anerkannt ist, liege vor allem an gesetzlichen Rahmenbedingungen, die besagen, welche Kriterien ein Kindergarten zu erfüllen habe. Dass es mitten im Wald keine sanitären Einrichtungen gibt, versteht sich von selbst. Trotzdem hat man das Gefühl, dass sich die Idee weiter verbreiten könnte, denn welches Kind mag Abenteuer in der Natur nicht!