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Simone Zopf und Nupi Jenner (v. li.) begut-achten Späneboden einer Barock-Gitarre © Spannlang

Skalpell aus Sinustönen

Ein Artikel von Dipl.-Ing. Robert Spannlang | 11.10.2004 - 00:00
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Simone Zopf und Nupi Jenner (v. li.) begut-achten Späneboden einer Barock-Gitarre © Spannlang

Fingerabdrücke werden neuerdings nicht nur Einreisewilligen in die USA abgenommen. Auch Geigen haben einen solchen. Mag. Simone Zopf, die Instrumentenbau in Hallstadt und Musikwissenschaften in Wien studierte, gelang es, eine Geige mittels der akustisch-elektronischen Apparatur VIAS nach ihren individuellen Klangspektren zu charakterisieren. E-Modul von Ahorn und Fichte. Das vom Institut für Wiener Klang (IWK) entwickelte Gerät überträgt einen ansteigenden Sinus-Ton auf den Steg einer Geige und visualisiert die Rückkoppelung aus dem Geigenkorpus über eine Messnadel. „Je nach E-Modul des Geigenbodens aus Ahorn und der Decke aus Fichte in Längs- und Querrichtung entsteht so ein individueller Fingerabdruck jedes Instruments”, erklärt Zopf.
Die am PC-Monitor aufscheinenden Kurven geben Aufschluss über Klangqualität und Resonanzverhalten in allen wichtigen Frequenzbereichen.
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Ein Hauch von Fichte: Durchscheinende, feinjährige Decke einer Laute © Spannlang

Chladnische Klangfigur. Versetzt man die Korpusdecke einer Violine in Schwingung, ordnen sich darauf verteilte Pfefferkörner in einem Muster an, das auf die Klangcharakteristik der Geige schließen lässt, so die Musikwissenschaftlerin weiter.
Schlecht definierte Knotenlinien in diesen so genannten chladnischen Klangfiguren deuten auf einen inhomogenen Aufbau des Holzes oder auf unsachgemäße Stärkenverteilungen hin. Durch gezieltes Schaben an der Geigendecke könne die Klangqualität des Instrumentes deutlich gesteigert werden. „Musikempfinden ist sehr subjektiv”, erklärt Zopf. Ziel ihrer Untersuchungen war es daher, die Beurteilung des Geigenklanges zu objektivieren und etwa Hilfestellung beim Kauf einer Violine zu geben.
„Im 18. und 19. Jahrhundert wurden massenhaft Geigen erzeugt - quasi ohne Ablaufdatum. Die Produktion von Geigen tritt in ihrer Bedeutung heute hinter die Instrument-Restaurierung zurück.”Nupi Jenner
Geigenbauerin sucht Sägewerk. Abseits ihrer Expertentätigkeit in Sachen Geigenklang fertigt und restauriert Zopf zusammen mit ihrem Partner Nupi Jenner (sh. Beitrag „Musik in den Händen”, 26.10.2002 11:03:00 MEZ) Streich- und Zupfinstrumente aus Holz. Für diese Instrumente benötige man Fichten-Klangholz, das neben Merkmalen ähnlich dem Furnierholz ausgeprägte Markstrahlen haben und speziell eingeschnitten werden soll. „Unser langjähriger Holzlieferant geht in den Ruhestand. Wir halten Ausschau nach einem Nachfolger”, erklärt die Geigenbauerin.
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Stunde der Wahrheit: Über Messnadel am Geigensteg lässt sich durch Frequenz-Rückkopplung ein akustischer Fingerabdruck erzeugen © Spannlang

Als Anforderung an den künftigen Säge-Kooperationspartner nennt Jenner das Vorhandensein einer horizontalen Blockbandsäge „mit nahezu unbeschränkter Einschnittbreite und kurzen Spannbacken-Abständen”. Bloche von 1 m Durchmesser seien für die Herstellung von Violoncelli gefragt, betont der Geigenbauer. Besonders wertvolles Holz wird entlang der Markstrahlen mit einem Kliebeisen aufgetrennt. Gerade der Einschnitt entscheidet über den Werterhalt des seltenen, sorgfältig über viele Jahre getrockneten Klangholzes aus Hochlagen, weiß die Musikerin.Investitionsgut Geige. Heute sei die Restauration alter Geigen wesentlich lukrativer als der Neubau - ganz abgesehen von den noch immer nicht gelüfteten Geheimnissen der Cremoneser Geigenbauer Stradivari und Amati.
„Neue Gitarren werden immer gebraucht, bei den konstruktiv anspruchsvolleren Geigen ist das anders. Alte Geigen sind heute Investitionsgüter, deren Marktwert oft aus irrationalen Gründen ins Unermessliche steigt”, ist Jenner überzeugt.
Zopf ist als Mitarbeiterin des IWK mit VIAS regelmäßig zu Gast bei Workshops junger Geiger, untersucht Instrumente und berät. „Gute Geigen müssen nicht teuer sein”, weiß sie.