MAK

200 Jahre, 200 Sessel

Ein Artikel von Dagmar Holley | 06.03.2020 - 09:33

Das Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) verwahrt eine bedeutende Sammlung Thonet-Möbel. 1819 übernahm Michael Thonet in Boppard am Rhein die Tischlerei seines Vaters. Dieses Jubiläum nahm das Museum zum Anlass, eine Ausstellung zum Thema Bugholz zu kuratieren, die am 18. Dezember startete und noch bis 13. April zu sehen ist.  

 

Vom Handwerk zum Massenprodukt

Obwohl das Verfahren, Holzleisten über Wasserdampf zu erweichen und zu verformen schon lange vor Michael Thonet bekannt war, hat er es entscheidend geprägt. Mitte des 19. Jahrhunderts brach er von Deutschland nach Wien auf. Hier perfektionierte er die Technik. Durch dreidimensionales ­Biegen konnten Hinterbeine und Lehne aus einem einzigen massiven Stab gefertigt werden, aufwendige Holzverbindungen entfielen damit. Mit dem ab 1859 gefertigten „Kaffeehaussessel“ Nr. 14 gelang ihm der Durchbruch. Der leichte Sessel bestand aus sechs Einzelteilen, die mit zehn Schrauben zusammengebaut wurden. Diese einfache Konstruktion machte es möglich, das zerlegte Möbel in die ganze Welt zu verschicken.
Ab den 1930er-Jahren stieg das Unternehmen außerdem zu einem bedeutenden Produzenten von Stahlrohrmöbeln auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde immer wieder versucht, an zeitgenössische Entwicklungen anzuknüpfen. Heute ist von dem Imperium nicht mehr viel geblieben. Der Markenname Gebrüder Thonet wurde nach Italien verkauft. Im tschechischen Bystřice pod Hostýnem lebt Ableger Ton die Technologie weiter, bemüht sich um junges Design und wirbt mit „von Menschen ­gefertigten Stühlen“. Der Prozess, der einst Grundlage der Industrialisierung und ­Massenproduktion war, ist heute vergleichsweise arbeitsintensiv.

 

Paarweiser Vergleich

Neben den Thonet-Sesseln kommen auch andere Hersteller, verwandte Techniken,  vor allem Formsperrholz, verschiedenste Möbel und moderne Entwürfe nicht zu kurz. Die Exponate sind meist zu Zweiergruppen zusammengefasst: Traditionelle Bugholz­möbel treffen auf Stahlrohrmöbel und ­Plastiksessel, Bürostühle und avantgardistische Möbelexperimente, auch Beispiele aus der Biedermeierzeit sind zu sehen. ­Verwandtschaften sowie Kontraste sind ebenso abzulesen, wie Brüche und Zäsuren, welche die ­Weiterentwicklung der gesamten Möbel­produktion vorantrieben.

 

Wiener Geflecht

Eng verbunden mit den klassischen ­Bugholzsesseln ist das Wiener Geflecht. „Allerdings stammt es gar nicht aus Wien“, weiß Sesselflechter Gerhard Stöglehner. „Im 17. Jahrhundert kam es über Portugal nach Europa. Der Rohstoff – die Triebe der ­Rotangpalme – wächst in Südostasien. Nur die äußerste Schicht – bei uns als Rattan bekannt – wird für Möbel verarbeitet.“
2016 hat sich der Tischlermeister mit seiner Sesselflechterei selbstständig gemacht und seither Wissen rund um Technik, Geschichte und Material zusammen­getragen: „Wenn ich ein Muster sehe, kann ich es nachflechten.“ Der Großteil seiner ­Kunden sind privat. Sie bringen Sessel, Liegen und Schaukelstühle von Dachböden und Kellern – oder auch direkt aus dem Gebrauch. Ob sich eine Reparatur lohnt, liegt im individuellen Wert des Betrachters. Zu unterscheiden sind Hand- und Maschinengeflecht. Erstes wird streifenweise eingeflochten, zweites in Rollen geliefert, zugeschnitten, eingenutet und verleimt.
Im Rahmenprogramm zur Ausstellung präsentiert Stöglehner am Wochenende 7. und 8. März sein Handwerk im MAK und gibt Einblick in die geschichtliche Entwicklung der Flechttechniken.