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Dr. Heinz Röhle, DAV © LWF

Sanierung, Pflege, Bejagung

Ein Artikel von Dr. Franz Binder, Karl Stahuber und Christian Hertel, Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, Am Hochanger 11, 85354 Freising/DE | 31.08.2006 - 00:00
Referenten aus Südtirol, Österreich, der Schweiz und Bayern zeigten beim 4. Schutzwaldsymposium am 26. Juli in Berchtesgaden viele Aspekte auf, die in einem integralen Schutzwaldmanagement von Bedeutung sind: Von den Anforderungen der Waldbesitzer und der Öffentlichkeit an den Bergwald über die Erfassung der Naturgefahren bis hin zu möglichen Handlungskonzepten. Die zentrale Maßnahme zur langfristigen Sicherung der Schutzfunktionen ist und bleibt aber die Regulierung der Schalenwildbestände auf ein waldverträgliches Maß.

Integrales Management

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Olaf Schmidt, LWF © LWF

Schutzwälder erhalten ihren eigenen Standort und schützen gleichzeitig Siedlungen und Verkehrsverbindungen vor Lawinen, Felsstürzen, Steinschlägen, Erdabrutschungen, Hochwässern und ähnlichen Gefahren. Maßnahmen im Schutzwald, ob Pflege oder Sanierung, sind auf ein integrales Schutzwaldmanagement zu stützen. Hierbei werden die örtlichen Naturgefahren, das Schadenspotenzial und der aktuelle Waldzustand einbezogen. Die Schutzwaldpflege verlangt ein konsequentes, vorausschauendes waldbauliches Handeln über mehrere Förstergenerationen hinweg. Dazu gehört vor allem auch die effektive Bejagung des Schalenwildes. Nur so kann die teuere Sanierung vermieden werden. „Diese Aufgaben werden nur erfolgreich wahrgenommen, wenn die Forstleute weiterhin auf der ganzen Fläche präsent sind”, fasste Prof. Dr. Heinz Röhle, Präsident des Deutschen Alpenvereins, als Moderator des Symposiums zusammen. Olaf Schmidt, Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), Freising, hatte zum Thema „Schutzwald und Naturgefahren” hochkarätige Referenten aus dem deutschsprachigen Alpenraum gewinnen können, die klar Stellung bezogen.

Erhalt und Pflege der Wälder als entscheidende Zukunftsaufgabe

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Bayerischer Forstminister Josef Miller: „Konsequente Einhaltung des Grundsatzes – Wald vor Wild“ © LWF

Der Bayerische Forstminister Josef Miller betonte in seiner Eröffnungsrede vor rund 150 Zuhörern die Bedeutung des intakten Bergwaldes als Schutz des Menschen und seines Eigentums vor Naturgefahren. Um diesen Schutz zu erhalten oder wiederherzustellen stützt sich Bayern auf ein Schutzwaldmanagement, das auf den drei Säulen Schutzwaldsanierung, Schutzwaldpflege und Schalenwildbejagung steht. „Nirgendwo ist die konsequente Einhaltung des Grundsatzes - Wald vor Wild - entscheidender als im Gebirge”, so Miller.
Dem schloss sich Walter Faltl, Bereichsleiter Waldbau, Bayerische Staatsforsten (BaySF), an. Er ist für rund 195.000 ha Wald im Bayerischen Hochgebirge zuständig, von denen rund 140.000 ha forstlich bewirtschaftet werden. Faltl stellte die Bewirtschaftungsgrundsätze im Schutzwald vor. An erster Stelle steht die Vermeidung der Sanierungsnotwendigkeit durch vorbeugende Schutzwaldpflege. Die Entwicklung und Anwendung einheitlicher Standards für die Bestandsgründung, Pflege/Verjüngung, Waldschutz und Erschließung sollen ein zielgerichtetes und effizientes Handeln im Schutzwald ermöglichen.
Stellvertretend für die Bewirtschafter von Schutzwald im Privatund Körperschaftswald sprach Michael Lechner, Vorstand der Waldbesitzervereinigung Holzkirchen. Er nannte drei Aktionsfelder, um die Situation im Schutzwald zu verbessern. Neben einer konsequenten Kontrolle der Schalenwildbestände seien das die finanzielle Förderung von forstlichen Maßnahmen und die neutrale waldbauliche Beratung durch den staatlichen Förster. Die vielfältigen Funktionen des Waldes zur Vorsorge vor Naturgefahren sind nach seiner Meinung wieder verstärkt in das Bewusstsein von Bevölkerung und Politik zu bringen.
Aus der Schweiz referierte Dr. Monika Frehner, Mitautorin des Leitfadens „Nachhaltigkeit und Erfolgskontrolle im Schutzwald” zum Thema Nachhaltigkeit im Schutzwald. Gestützt auf die Annahme, dass der Waldzustand für die Prävention vor Naturgefahren entscheidend ist, werden waldbauliche Anforderungsprofile, Minimalund Idealprofil, beschrieben. Sie definieren sich über Baumartenmischung, Stabilitätsträger, Gefüge und Verjüngung. Das Minimalprofil beschreibt einen Zustand, der eine ausreichende Schutzwirkung vor Naturgefahren erwarten lässt, das Idealprofil den mit der höchsten Schutzwirkung. Die Anforderungsprofile entsprechen dem Stand und Wissen aus dem Jahr 2004 und werden stetig hinterfragt und überarbeitet.

Europäische Herausforderung

Nach Ansicht des Bürgermeisters der Gemeinde Schleching, Fritz Irlacher, wird ein Schutz vor Naturgefahren nur durch die Zusammenarbeit der maßgeblichen Behörden über Ländergrenzen hinweg erreicht. Dr. Hubert Kammerlander, Forstdirektor von Tirol, stieß in das gleiche Horn. Die letzten Jahre zeigen, dass die spektakulären Naturkatastrophen ein gesamteuropäisches Problem sind. Jeder Liter Wasser, der in den Alpen zurückgehalten werden kann, ist aktiver Hochwasserschutz für die Flusslandschaften.
Die Länder des Alpenraumes haben in vielen Bereichen ähnliche Probleme. Folgerichtig fördert eine Gemeinschaftsinitiative der EU - das Interreg III B („Alpenraumprogramm”) - eine gemeinsame, nachhaltige und ausgewogene Entwicklung des Alpenraumes. Ein wichtiges Projekt, das aus diesem Programm von den Partnerländern kofinanziert wird, ist „Naturpotenziale Alpiner Berggebiete” (:nab). Fachleute aus Südtirol, der Lombardei, der Schweiz, Slowenien, Tirol und Bayern arbeiten hier fachübergreifend zusammen mit dem Ziel, mehr Sicherheit und Effizienz bei der Naturgefahrenbewertung und -vorhersage zu entwickeln.
Drei Mitarbeiter des Bayerischen Landesamts für Umwelt referierten zum Themenkreis Naturgefahren. Der Lebensraum in den Alpen wird zunehmend durch Wildbachprozesse wie Muren und Hochwasser bedroht. Dr. Günther Bunza stellte Ergebnisse aus verschiedenen Projekten vor, die zum Teil in Zusammenarbeit mit österreichischen Dienststellen erarbeitet wurden. Die hier entwickelten Methoden ermöglichen die Beurteilung von Abflussund Abtragungsprozessen in Wildbacheinzugsgebieten sowohl im regionalen wie auch im lokalen Maßstab. Es ist damit auch möglich, die Auswirkungen der Klimaänderung auf den Niederschlag und den Abfluss zu bewerten und in Gefährdungsszenarien zu berücksichtigen. Steinschläge und Felsstürze führen aufgrund ihrer hohen kinetischen Energien zu erheblichen Sachschäden. Mit Hilfe eines Trajektorienmodells können nach Dr. Andreas von Poschinger die Reichweiten von Sturzblöcken simuliert und Angaben zu den Sprunghöhen und Energien gemacht werden. Gleichzeitig erlaubt es auch den dämpfenden Einfluss des Waldes abzubilden.
„Integraler Lawinenschutz” war das Thema von Dr. Bernhard Zenke. Unter dem Begriff versteht man die Kombination administrativer (Lawinenwarnung und Sperrungen), technischer (Lawinenverbau) und forstlicher Maßnahmen (Schutzwaldpflege und -sanierung). Am Beispiel des Sanierungsgebietes Weißwand bei Berchtesgaden zeigte Zenke auf, dass nur eine funktionierende Schutzwaldsanierung und -pflege den Gesamterfolg des Lawinenschutzes sicherstellen kann. Investitionen in diesem Bereich sind langfristig gesehen die effektivste Art, öffentliche Mittel für das Gemeinwohl und zum Schutz des Lebensraumes einzusetzen. In den letzten 20 Jahren wurden im Schnitt 3 Mio. E/Jahr aufgewandt.
Zu wenig, wie Zenke in der Diskussion befand. Um der Sanierung auf Dauer zum Erfolg zu verhelfen, müsste es aus seiner Sicht das Dreifache sein.

Neue Wege

Eine der zentralen Aufgaben der Landesabteilung Forstwirtschaft in Südtirol ist nach Dr. Christoph Hintner, Amt für Forstplanung, Bozen/IT, die Beratung und Unterstützung der Waldeigentümer bei der naturnahen Bewirtschaftung ihrer Wälder. Dazu dient das Projekt Waldtypisierung. In einem Handbuch werden die von Natur aus vorkommenden Waldtypen für ganz Südtirol beschrieben und visualisiert. Neben der ökologischen und waldbaulichen Beschreibung werden sie hinsichtlich ihrer Schutzwirkung beurteilt. Waldbauliche Empfehlungen zur Baumartenwahl, Naturverjüngung und Waldpflege runden das Werk ab.
Das Verfahren zum integralen Schutzwaldmanagement, das von Rainer Blaschke, Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), Freising/DE, vorgestellt wurde, fasst erstmals in einem forstlichen Geoinformationssystem Daten zum Wald, Gefahrenhinweiskarten und andere Geoinformationen zum alpinen Naturraum fachübergreifend zusammen. Diese werden miteinander verknüpft und ausgewertet. Das Informationssystem ist für das integrale Management alpiner Schutzwälder eine wesentliche Grundlage, um eine effektive und zielorientierte schutzfunktionale Bewirtschaftung zu gewährleisten.