Ob schon vor einem Sturm Naturverjüngung vorhanden war, macht einen großen Unterschied für die Wiederbewaldung © Robert Spannlang
2018 sei ein außergewöhnlich schlimmes Jahr für die Forstwirtschaft im südlichen Niedersachsen gewesen, meint Dr. Hermann Wobst. Etwa 8.000 ha Wald fielen dort am 18. Januar dem Sturm Friederike zum Opfer. Auch der Landteil sei natürlich betroffen gewesen. „Aber hier gab es mit etwa 7.500 fm Sturmholz nur das Anderthalbfache des jährlichen Einschlags“, betont der erstaunlich vital wirkende ehemalige Forstamtsleiter des „Landteils“ in seinen frühen 80ern.
Private und genossenschaftliche Forstbetriebe in unmittelbarer Nachbarschaft mit noch überwiegender Fichtenreinbestandes- und Kahlschlagwirtschaft haben mit einem Vielfachen des Hiebsatzes ungleich höhere Verluste erlitten. Die Trockenjahre 2018 und 2019 haben dort nachfolgend massiven Borkenkäferbefall ausgelöst und in Einzelfällen nahezu zum Totalausfall der Baumart Fichte geführt. „Und damit vielleicht zum Ende der ,Fichtenmonomanie‘?“, fragt sich der Niedersachse und macht eine resignative Handbewegung.
Naturgemässe Waldwirtschaft zeigt Wirkung
Doch Grund zur Resignation hat er eigentlich nicht, denn seit im „Landteil“ sein Vater und Vorgänger als Forstamtsleiter, Dr. Willy Wobst, die naturgemäße Waldwirtschaft einleitete, führten der Verzicht auf Kahlschlag, vermehrte Naturverjüngung und intensive Einbringung standortgerechter Mischbaumarten zu stetigem Abbau von Reinbeständen und entsprechender Zunahme von zwei- bis mehrschichtigem Mischwald. Dadurch kam es offenbar zu steigender Bestandesstabilität und sinkenden ökonomischen und ökologischen Risiken. Zusätzlich wurde der bis 1943 fast völlig fehlende Wegaufschluss zügig vorangetrieben.
Der langfristige Umbau der Bestockung erforderte selbstredend auch erhebliche Investitionen für Kauf, Pflanzung, Pflege, Schutz gegen Wildverbiss (Rehwild) der einzubringenden, auf großen Flächen noch total fehlenden Mischbaumarten.
Ein sorgfältiger Umgang mit einem relativ hohen Ausgangsvorrat – etwa die Hälfte der Fläche war über 100 Jahre alt, überbestockte Buchenreinbestände – erlaubte allerdings, die Investitionen aus dem eigenen Betrieb zu erwirtschaften. Dazu wurde die Abnutzung der alten Buchenbestände weit über die klassische Umtriebszeit von 140 Jahren ausgedehnt und das beachtliche Lichtungszuwachsvermögen alter Buchen zum Teil bis zum Alter um 200 Jahre optimal ausgenutzt. Auf diese Weise gelang es darüber hinaus, den Landteil mit einem Laubbaumanteil von um die 75 % und ohne nennenswerte Wertholzanteile (kaum alte Eichen und Edellaubbäume) im Durchschnitt der Jahrzehnte „schwarze Zahlen“ schreiben zu lassen.
Dieses Waldumbauverfahren ging einher mit langfristiger Überschirmung des Nachwuchses mit positiver Wirkung auf dessen Selbstdifferenzierung und Qualität (Wipfelschäftigkeit und Feinastigkeit). Das sich hierdurch großflächig verbessernde Waldinnenklima bescherte wachsende Naturverjüngungsfreudigkeit, inzwischen auch der früh eingebrachten Mischbaumarten. Intensive Bejagung trug dazu bei. Bis zur jüngsten Sturm-/Borkenkäfermisere brauchte man fast nur anzunehmen, was die Natur anbot, lächelt Hermann Wobst.
Der Standort bestimmt die Ziele
Für zwei standörtlich deutlich unterschiedene Teilflächen bestehen auch entsprechend differenzierte waldbauliche Zielvorstellungen. Auf den Muschelkalk-standorten im Nordosten (30 %), teilweise mit Lößauflagen, sind reine Laubwälder aus Buche mit bis zu 50 % Mischbaumarten (Esche, Berg-, Spitz- und Feldahorn, Kirsche, Linde, Elsbeere, Eiche) vorgesehen. Zu Beginn waren die Edellaubbäume nur mit 6 % am Vorrat beteiligt. Bis 2015 konnte ihr Anteil auf 47 % gesteigert werden. Leider ist diese Entwicklung durch das Eschentriebsterben aktuell deutlich rückläufig. Auf den Buntsandsteinstandorten, auch teils lößüberlagert, soll ebenfalls die Buche die Hauptbaumart stellen, einschließlich weiterer Laubbaumarten (Bergahorn, Roterle, Eiche, Roteiche). Vor allem aber sollen hier die Nadelbaumarten (Fichte, Lärche, Weißtanne, Douglasie) eine angemessene Beteiligung finden. Neben- und Pionierbaumarten (wie Birke, Eberesche oder Weide) sind überall willkommen. Dieses Ziel – grob vereinfacht: je 50 % Laub- und Nadelbäume – ist aktuell aber noch nicht erreicht.
Ein weiteres willkommenes Nebenprodukt der Behandlung der alten Buchenbestände ist die seit etwa 1985 wachsende Anreicherung des Waldes mit liegendem und stehendem Totholz. „Die vergangene Holzvorratsinventur von 2014 ergab einschließlich von Horst-, Höhlen- und Habitatbäumen sowie Habitatbaumgruppen eine durchschnittliche Menge von 36 Vfm/ha Holzboden“, unterstreicht der ehemalige Forstamtsleiter.
Was bringt die Zukunft?
Seine Nachfolger im Forstamt Seesen setzen heute auf Auslesedurchforstung und Zielstärkennutzung mit weitgehend hoch mechanisierter Holzernte und Rückegas-senabständen von 20 m. Im Zuge dieser Entwicklung ist der Personalbestand in den niedersächsischen Landesforsten in den vergangenen 25 Jahren mit zwei großen Umorganisationen 1997 und 2005 massiv abgebaut worden. Auch danach wurden noch weitere Stellen „eingespart“. Hermann Wobst sieht das mit zunehmender Sorge. Er befürchtet, dass einer waldbaulich anspruchsvollen, multifunktionalen Waldwirtschaft damit der Boden entzogen werde. Die aktuelle Situation nach „Friederike“, zwei extremen Trockenjahren und katastrophalem Borkenkäferbefall scheint ihm Recht zu geben. Viele Forstleute und Forstunternehmer seien nach zwei Jahren „im Katastrophenmodus“ physisch und psychisch erschöpft. „Kein gutes Omen für das, was die Zukunft noch bringen mag“, brummt der Forstmann.