Trotz lauter Kritik und weitreichender Bedenken hat das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Juni 2022 die ‚Naturschutzleitlinie 2022 für den hessischen Staatswald‘ verabschiedet. Damit wurde ein Paradigmenwechsel gegenüber dem bisherigen Auftrag der Naturschutz- und Waldgesetze auf Bundes- und Länderebene vollzogen. Künftig soll dem Biodiversitätsziel im Zweifel immer Vorrang gegenüber anderen Waldfunktionen einräumt werden. „Bereits die Erarbeitung fand ohne die Beteiligung unmittelbar betroffener Interessengruppen statt. Dass dabei die Stimmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Land- und Forstwirtschaft über die Holzwirtschaft bis hin zu Weiterverarbeitern ignoriert worden sind, zeigt die von Anfang an einseitige Herangehensweise“, erklärt Lars Schmidt, der Vorsitzende des Landesbeirats Holz Hessen. Angesichts der weitreichenden Folgen der mit der Leitlinie verbindlich erlassenen Vorgaben hat der Verband eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, um die Wirksamkeit der Maßnahmen und Auswirkungen in der Praxis aufzuzeigen.
Leitlinie wegen fachlicher Unausgewogenheit abzulehnen
Die Studie wurde von Prof. Dr. Hermann Spellmann, dem ehemaligen Direktor der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt sowie ehemaligen Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirates Waldpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sowie Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst-Detlef Schulze, dem Emeritus-Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie, erarbeitet. Die Untersuchung legt die fachliche Unausgewogenheit der Leitlinie offen, die den vielfältigen Ansprüchen an den Wald nicht gerecht wird und die Herausforderungen durch den Klimawandel unterschätzt. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass „die Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald wegen ihrer fachlichen Unausgewogenheit nicht zukunftsfähig und daher abzulehnen ist“. Die dortigen Vorgaben erschwerten sogar den Arten- und Klimaschutz durch den Landesbetrieb HessenForst, indem die Anpassung der Wälder an den fortschreitenden Klimawandel verhindert und der Beitrag der Holzverwendung zum Klimaschutz durch erhebliche Nutzungseinschränkungen im Wald ausgebremst werde. Zudem werde der ökologische Fußabdruck vergrößert und die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung vermindert.
„Die in der Naturschutzleitlinie für den hessischen Staatswald festgelegten Nutzungseinschränkungen beruhen auf der irrtümlichen Annahme, dass ein sich selbst überlassener Wald und die Akkumulation von stehendem Holzvorrat im Wald mehr zum Klima- und Artenschutz beitragen als ein nachhaltig genutzter Wald und die Verwendung des heimischen Rohstoffs Holz. Dieser Irrtum muss durch einen wissenschaftlichen Diskurs aufgelöst werden“, stellt Christian Raupach, der stellvertretende Vorsitzende des Landesbeirats Holz, fest. „Mit dieser Naturschutzleitlinie riskiert das Land Hessen weitere Verluste von Wäldern durch extreme Witterungsereignisse, Schädlinge und Waldbrände. Wir verlieren wichtige Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Unser prioritäres Ziel muss es sein, den Wald mit allen seinen Funktionen für Umwelt, Gesellschaft und die Wirtschaft zu erhalten.“
„Angesichts der eindeutigen Ergebnisse der Studie ist nun die Landesregierung gefordert, Konsequenzen zu ziehen. Hessen ist ein bedeutender Standort für die Forst- und Holzwirtschaft in Deutschland. Im Zuge des Klimawandels birgt der Rohstoff weitreichende Potenziale, fossile Materialien zu ersetzen und zu einer kreislauforientierten Bioökonomie beizutragen. Wir können es uns nicht leisten, unser heimisches Holz und die wirtschaftlichen Strukturen durch eine einseitige Naturschutzpolitik zu gefährden und das notwendige Holz aus dem Ausland zu importieren. Weitblick und Kompromissbereitschaft sind die Voraussetzungen für zukunftsfähige Entscheidungen für Wald und Holz. Zu diesem Paradigma muss auch Hessen zurückfinden“, betont Schmidt abschließend.