Wenn wir uns auf die Baustoffe und die graue Energie (embodied carbon) konzentrieren, dürfen wir die Rolle, die Zement und Beton in den nächsten Jahren und Jahrzehnten spielen werden, nicht unterschätzen. Wie stark wird die Konkurrenz für Holz durch kohlenstoffarme Betonvarianten sein? Eine aktuelle Studie, von Driver et al. (2024) analysiert die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verschiedener konkreter Dekarbonisierungstechnologien von Beton mit Fokus auf die Mineralisierung. Die Resultate sind für Holz als Baustoff ermutigend.
Vereinfachte CO₂-Bilanzen unterschiedlicher Bautechnologien
Unterschiedliche Technologien: BSP, Pflanzenkohle-Beton, Hochbaubeton, Hochbaubeton mit Neustark Mineralisierung, Hochbaubeton mit carbonatisiertem EOL-Zementleim (cRCP = carbonated recycled concrete paste) Anmerkung: f.Ä. = funktionales Äquivalent © KBOB Ökobilanzdaten; Driver et al. (2024); Neustark; Berechnungen Timber Finance | © Holzkurier 2025
CO₂-Mineralisierung: Potenzial und Kosten
Eine Möglichkeit, Beton zu dekarbonisieren, besteht darin, auf die sogenannte Mineralisierung zu setzen – den Prozess der Bindung von CO2 an Beton (genauer gesagt an den kohlensäurefreien Kalziumanteil). Mehrere Unternehmen – von der führenden Heidelberg Materials bis zum Schweizer Klimatech-Start-up Neustark – haben Verfahren zur Mineralisierung entwickelt. Driver et al. (2024) analysieren in einer kürzlich veröffentlichten Studie die Emissionsreduktionen (Substitutionseffekte) und die wirtschaftlichen Eigenschaften verschiedener Prozesse und vergleichen sie mit der Technologie der Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS). Die Autoren schätzen eine breite Palette von Werten für die Kohlenstoffreduktion pro kg substituiertem Produkt.
Je nach verwendetem Ansatz reichen die Werte von circa 0,49 kg CO2/kg (OCO Technologies, Blue Planet) bis nahezu null (Carbon Cure). Sie zeigen auch, dass unterschiedliche Ansätze auf unterschiedliche Produktnischen abzielen und daher je nach in der Praxis verarbeiteten tatsächlichen Menge unterschiedliche globale Auswirkungen haben. Darüber hinaus schätzt die Studie die Kosten für die Reduzierung der Kohlenstoffemissionen für jeden Ansatz und den Preisaufschlag dieser Ansätze im Vergleich zu herkömmlichen Zementprodukten. Die untenstehende Abbildung zeigt das Verhältnis zwischen dem CO2-Reduktionspotenzial (vermiedene kg CO2 pro kg Produkt) und den Kostenauswirkungen auf Produktebene: Die Technologien mit dem höchsten Potenzial sind tendenziell die teuersten, mit Ausnahme von Zement aus carbonatisiertem End-of-Life-Zementleim, dessen Kosten schätzungsweise circa 9 bis 12 % höher sind als bei einer nicht mineralisierten Alternative.
Bezogen auf das globale Dekarbonisierungspotenzial – eine Funktion der Marktgröße sowie des Dekarbonisierungspotenzials auf Produktebene – gehört unter den vielversprechendsten Ansätzen erneut Zement aus carbonatisiertem EOL-Zementleim. Carbonatisierte Leichtzuschlagstoffe aus Feststoffen, die carbonatisiert werden können, haben das größte globale Potenzial, sind aber bei Weitem einer der teuersten Ansätze.
In die Studie von Driver et al. (2024) fließen Ansätze, wie der carbonatisierte Recyclingbetonzuschlagstoff, ein, der vom Klimatech-Start-up Neustark eingesetzt wird. Dieser gilt als einer der teuersten Ansätze, aber auch als einer mit den geringsten CO2-Reduktionen pro kg substituiertem Produkt. Es ist wahrscheinlich, dass einige dieser Mineralisierungstechnologien mit zunehmender Produktionskapazität erhebliche Skaleneffekte erzielen werden. Ein mittelfristiges, kostenwettbewerbsfähiges Dekarbonisierungsniveau scheint aber nach den Zahlen der Studie auf Produktebene bei etwa 20 % zu liegen und steht auch im Einklang mit den Gesamtzielen der großen Zementunternehmen für 2030. Unter diesen Annahmen und bezogen auf Mineralisierungsansätze ist davon auszugehen, dass der Holzbau mittelfristig wettbewerbsfähig bleibt, sowohl in Bezug auf den Kohlenstoffausstoß als auch auf die Kosten.
Betonmineralisierung - Potenzial und Kosten auf Produktebene
CLWA aus CSM vermeidet durchschnittlich 0,49 kg CO2 pro kg substituiertes Produkt und das mineralisierte Produkt kostet circa 300 % mehr als die konventionelle Alternative (LWA); Zement aus C(EOL)CP vermeidet durchschnittlich 0,20 kg CO2 pro kg substituiertes Produkt und das mineralisierte Produkt kostet circa 12 % mehr als die konventionelle Alternative (CPC mit 75 % Klinkeranteil) © KBOB Ökobilanzdaten; Driver et al. (2024); Neustark; Berechnungen Timber Finance | © Holzkurier 2025
1) CPC = Composite Portland Cement („[CO₂-eingespritzter] Portlandkompositzement”); 2) CCSC = Carbonated Calcium Silicate Cement („Carbonisierter Calciumsilikatzementblock, unbewehrt”); 3) CSM = Carbonatable Solid Materials („Portlandkompositzement [mit Klinker aus carbonatisierbaren Feststoffen]“); 4) C(EOL)CP = Carbonated End-Of-Life Cement Paste („[Zement aus] carbonisierter Altzementpaste”); 5) CBC = Carbonate Bonded Compacts („carbonatisierte gebundene Presslinge, unbewehrt“); 6) CLWA = Carbonated Lightweight Aggregate („carbonisierte Leichtzuschläge [aus carbonatisierbaren Feststoffen]“)
Holz schließt Beton nicht aus
Beton und Holz können auch in Kombination zur Dekarbonisierung der Bauwirtschaft beitragen: Holz-Hybridstrukturen, sogenannte Holzbetonverbundsysteme (HBV), werden heute im großvolumigen Geschossdeckenbau als State-of-the-Art-Lösung eingesetzt. Sie wurden von Immobilienentwicklern in Großprojekten umgesetzt und sind ein Kernbestandteil der Nachhaltigkeits- (und Geschäfts-)Strategie der Unternehmen. Dabei trägt die Betonauflage mit ihrer Masse hauptsächlich zur Reduktion von Schall und Schwingungen bei und die Holztragschicht übernimmt die statischen Zugkräfte.
Die Entwicklung der HBV-Systeme ist jedoch nicht nur technisch bedingt, sondern hat auch mit der Industriestruktur zu tun: Mehrgeschossige Großprojekte haben heute immer noch einen beachtlichen Anteil an Beton und werden oft an große, leistungsstarke Bauunternehmen mit dem herkömmlichen Geschäftsmodell der Betonverarbeitung vergeben. Zwei der größten Schweizer Bauunternehmen, Implenia und Erne, haben daher strategisch eigene Holzbauabteilungen etabliert und treten als Gesamtanbieter für den Holz- und Betonbau auf. Andere Bauunternehmen, wie Strabag, haben sich in Holzbauunternehmen, wie Züblin Timber, eingekauft.
Technologisch geht die Entwicklung jedoch weiter. Neuere Großprojekte im industriellen Holz(modul)bau setzen zunehmend auf Vollholzdecken oder Hohlkastendecken mit Schüttungen zur Verbesserung des Schallschutzes und der Schwingungsdämpfung. Auch Gebäudekerne, die traditionell aus Beton zur Aussteifung errichtet wurden, werden zunehmend aus BSP gefertigt. Und 2024 wurde erstmals entgegen dem Konsens ein Untergeschoss aus Holz statt Beton gebaut.
Neben der zuvor beschriebenen und analysierten Betonmineralisierung werden weitere Lösungen entwickelt und teilweise bereits kommerzialisiert, wie beispielsweise Pflanzenkohlebeton, bei dem nach der Pyrolyse von Biomasse (zum Beispiel Restholz) Pflanzenkohle als Zusatzstoff zugegeben wird. Dadurch kann der Bedarf an Zement – dem CO2-intensivsten Bestandteil von Beton – reduziert und der biogene Kohlenstoff langfristig gespeichert werden. In der Schweiz gelten bestimmte Arten von Pflanzenkohlebeton als klimaneutral, da sie so viel Kohlenstoff speichern, wie bei ihrer Herstellung freigesetzt wird.
Holzsektor gut positioniert
Industrie und Wissenschaft arbeiten Seite an Seite, um die globale Herausforderung der Dekarbonisierung der Bauwirtschaft anzugehen. Sie haben innovative Lösungen entwickelt, um die Kreislaufwirtschaft zu fördern und Baumaterialien durch Alternativen zu ersetzen, die bessere Emissionsprofile über den gesamten Lebenszyklus aufweisen. Besonders wichtig sind Lösungen – darunter einige der bereits erwähnten, die fossile Emissionen und gleichzeitig die Verbrennung von Biomasse vermeiden.
Basierend auf der kürzlich veröffentlichten und hier diskutierten Studie zur Betonmineralisierung, sind die Kosten für die disruptivsten Technologien unerschwinglich und diejenigen, die wirtschaftlich rentabel sind, bieten ein erhebliches, aber kein drastisches Dekarbonisierungspotenzial. Insgesamt ist der Holzsektor also gut positioniert, um mittelfristig seinen Kohlenstoffvorteil auch gegenüber kohlenstoffärmerem Beton zu behalten und gleichzeitig kostenmäßig wettbewerbsfähig zu bleiben.
Quellen
Legal and General (2024). Real estate roadmap to net zero; ; Ina Invest (o. J.). Portfolio analysis and decarbonisation strategy; Driver et. al. (2024). Global decarbonization potential of CO2 mineralization in concrete materials; Holcim (2023). 2023 Climate Report; Swissbau (2024). Timbase - Untergeschosse aus Holz; KBOB (2024). Ökobilanzdaten im Baubereich