Hohe Tatra völlig entstellt

Ein Artikel von Dipl.-Ing. Anton Sprenger | 24.11.2004 - 00:00
Seit 70 Jahren kann sich die Slowakei an keine derartige Katastrophe erinnern. Der Orkan, der am 19. November mit 170 Stundenkilometern über diese Landschaft hinwegfegte, beschwor in der Hohen Tatra eine Apokalypse herauf. Dieses Naturjuwel der Slowaken verwandelte sich binnen vier Stunden in eine Mondlandschaft.
Das verwüstete Gebiet (Wald von Podbanské bis Tatranská Kotlina) ist zwischen 3 und 5 km breit, die Länge erstreckt sich über 50 km. Der Orkan hat im Nationalpark Hohe Tatra Tanap, der sich über 46.000 ha erstreckt, den Wald auf 12.000 ha komplett zerstört, weitere 12.000 ha sind stark beschädigt. Die direkten Auswirkungen sind erschreckend: der Sturmwind vernichtete rund 1,5 Mio. fm Holz, davon vorwiegend Nadelholz.
Den ersten Schätzungen zufolge bewegen sich die Schäden in der Höhe von einigen Milliarden Kronen. Die Behebung der Folgen wird zwei Jahre in Anspruch nehmen. Die Aufforstung des Waldes beansprucht 5 bis 7 Jahre. Es werden mindestens 50 Jahre vergehen, bis der Wald wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückgekehrt ist. Nicht nur Fichten-Reinbestände betroffen. Dass es sich um einen außerordentlich starken Orkan gehandelt hat, zeigt die Tatsache, dass er nicht nur die Fichten-Reinbestände vernichtete, sondern auch Zirben, Tannen und sogar Laubbäume.
Außerhalb der Hohen Tatra fielen auch in weiteren Regionen der Slowakei etwa 1 Mio. fm zu Boden wiederum vorwiegend Nadelbäume. Folgen der Naturkatastrophe gesamt für staatliche und private Wälder sowie Tanap. In der Slowakei werden pro Jahr rund 3 Mio. Efm Nadelholz geerntet. Der Orkan betraf nach neuern Schätzungen rund 3,5 bis 4 Mio. fm Holz. Der Wirtschaftsminister erließ in der ersten Woche nach der Kalamität ein sofortiges Fällverbot für Nadelbäume in der ganzen Slowakei.
Erste regionale Schätzungen des vom Wind gefällten Holzes:
 • Hohe Tatra: 1,5 Millionen fm
 • Becuz /Horehronie: 400.000 fm
 • Námesto – Orava: 200.000 fm
 • Brezno – Mestské lesy: 100.000 fm
 • Liptov, Rossava, Revúca je 50.000 fm
(Quelle: Lesy SR und nichtstaatliche Wälder) Wer ist für die Katastrophe in der Tatra verantwortlich? Schon seit langem wurde davor gewarnt, dass die Regionen des Tanap, welche die staatliche Verwaltung aufgrund der extremen Vermehrung der Borkenkäfer nur einige Monate zuvor als „außerordentlich gefährdetes Gebiet“ einstufen musste, ein Horrorszenario erleben können. Und dass das Experiment der Umweltschützer, befallene Bestände nicht zu schlägern, an Hasard grenzt. „Es wird viel davon geredet, dass der Orkan vor allem Fichten-Monokulturen weggefegt hat“, so Ing. Petr Liska, Direktor des Unternehmens Státné lesy Tanap. „Denken Sie, dass der Sturm einen Mischwald weniger beschädigt hätte? In Batizovce etwa blieben die Fichten-Reinbestände 500 bis 1000 m von den Agrargrundstücken entfernt stehen. Die Wälder stehen auch in der Zone unterhalb der Latschenkiefern. Bei einem Mischwald hätte der Sturm vermutlich keinen derartigen Flächenschaden angerichtet.“
Die Wiederbewaldung soll mit dem Forschungsinstitut für Forstwirtschaft Zvolen betreffend Mischung der Holzgewächsstruktur und mit dem Unternehmen Lesoprojekt Zvolen bei der Zusammenstellung neuer Waldwirtschaftsflächen koordiniert werden. Jetzt sollen natürlich vorkommenden Baumarten gepflanzt werden, die am besten der entwaldeten Flächen entsprechen um die Fichten zu ersetzen, die oftmals in den 30er-Jahren eingeführt und angepflanzt wurden. Im zentralen Teil der Tatra werden Fichten, Kiefern und Laubbäume gesetzt. In den übrigen Teilen sind Tannen, Buchen, Ahorn, Birken und Ebereschen geplant.
„Jetzt muss man vorerst einen kühlen Kopf bewahren“, so Liska. „Im Schadgebiet hat es keinen Sinn, sich mit irgendwelchen Schutzzonen aufzuhalten. Der naturwissenschaftliche Wert des Gebiets, in dem der Sturm tobte, ist gleich Null. Bezüglich der Erneuerung des Gebiets müssen wir uns vornehmlich darauf konzentrieren, dass wir im Frühjahr den Kampf mit dem Borkenkäfer aufnehmen, der im Kalamitätsholz überwintert. Wenn wir den noch vorhandenen Wald bewahren wollen, kommen wir nicht um die weitflächige chemische Behandlung der Bestände herum. Falls wir uns nicht dazu entschließen, frisst der Borkenkäfer auch den Wald auf, der den Orkan in der Zone unterhalb der Latschenkiefern überlebte.“ Aufforstungskosten. „Wenn man auch die Aufwendungen für den Abtransport des Kalamitätsholzes berechnet, die etwa 20.000 Kronen betragen, dann kostet die Aufforstung von 1 ha Wald rund 100.000 Kronen. Die Jungpflanzen aus eigenen Baumschulen werden nicht ausreichen, wir werden sie aus der ganzen Slowakei heranschaffen müssen“ informiert Liska. Katastrophe auch für das Wild? „Die Gemsen haben sich in die windgeschützte Zone oberhalb der Latschenkiefern zurückgezogen“, erklärt Liska. „Ein Teil des Hirschwildes hat irgendwie die nahende Gefahr gewittert und ist noch vor dem Eintreffen der Naturkatastrophe auf die Wiesen gelaufen. Das Wild wird in andere Gebiete ziehen, weil die Wälder völlig unpassierbar geworden sind. Am schlimmsten sind die Bären dran, die sehr empfindlich auf Stress reagieren. Der Orkan tobte gerade zu dem Zeitpunkt, wenn sie sich zum Winterschlaf verkriechen – jetzt werden sie nicht mehr dazu kommen. Sie werden hungrig umherziehen, Mülltonnen ausleeren und sich näher bei den Menschen aufhalten.“ Sonderplan für Aufarbeitung. „Wir erstellen einen Sonderplan, den die staatliche Forstverwaltung genehmigen muss“, so Generaldirektor Ing. Karol Vins, Lesy SR. Es wird wichtig sein, dass wir die Kalamität mit größter Effektivität bewältigen. Wir werden dazu die modernste Holzerntetechnik einsetzen. Wir rechnen mit bis zu zwei Jahren für die Beseitigung der gefällten Bäume in den Wäldern des staatlichen Unternehmens. Die letzte große Kalamität war 1996 auf dem Horehroní. Es dauerte fast zwei Jahre, bis die herumliegende Holzmasse abtransportiert war, gleich danach begann die Begründung des neuen Waldes. Ähnlich wird auch jetzt vorgegangen.
Es ist richtig, dass ein Wald einer Kalamität besser widersteht, der betreffend Alter und der Arten heterogen ist. Einem Wirbelsturm, wie er am 19. November über die Slowakei hinwegfegte, hätte jedoch auch ein gesunder Wald nur schwer standgehalten, und schon gar nicht Holzbestände, die zusätzlich durch die große Dürre des Vorjahres geschwächt waren. Durchschnittlicher Holzpreis noch bei 1400 slowakischen Kronen/ fm. Die Gelder aus dem Holzverkauf müssen für die Wiederbewaldung reserviert werden. Es sind auch Erwägungen zu hören, wie wohl dieses außerordentliche Ereignis die Holzpreise beeinflussen wird. Der Durchschnittspreis für Nadelholz bewegte sich im Markt in den ersten zehn Monaten dieses Jahres bei rund 1400 slowakischen Kronen pro fm. Laut Dr. Suchomel, Fakultät für Forstwirtschaft an der TU in Zvolen könnte infolge der Kalamität der Preis um 200 bis 300 Kronen/fm fallen. Zellstofffabrik nötig. „Um das Holz wirklich effektiv verarbeiten zu können, würde der Landstrich eine spezialisierte Zellulosefabrik für die Verarbeitung von Nadelholz benötigen. Eine solche Fabrik gibt es in der Slowakei nicht. Jede Hilfe bei der Bewältigung der Kalamität ist willkommen. Die ersten Hilfsangebote erhielten die Slowaken aus der Tschechischen Republik. Weitere Zulieferfirmen, ob in Tschechien oder in den Vertretungen in der Slowakei, die über leistungsstarke Technik verfügen, können sich diesbezüglich direkt an die Generaldirektion des Unternehmens Lesy SR in Banská Bystrica wenden.