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Bild aus Mähren: Der Niedergang der Fichte dauert dort schon seit Jahren an – wie lange geht das Sterben noch weiter? © Dr. Jan Lubojacký, Forestry and Game Research Institute, Jílovište-Strnady/CZ

Mitteleuropa

Beispiellos

Ein Artikel von Gerd Ebner | 13.08.2019 - 16:10

Kein Ende in Sicht

„Das gab es immer wieder“, hört man vereinzelt. Das mag für Sturm- und Schneebruch-Ereignisse gelten. Der große Unterschied zu früher ist: Der Klimawandel sorgt im Wald für Veränderungen, die ein Ende der Schadereignisse nicht erahnen lassen.

In Tschechien wird der dortige Umweltminister, Richard Brabec, auf MDR mit den Worten zitiert: „Wir kämpfen an allen Fronten, aber momentan verlieren wir erbärmlich. Fachleute prophezeien, dass es in Tschechien in 10 bis 15 Jahren so gut wie keine Fichtenwälder mehr geben wird.“ 

Nur um zu verdeutlichen, was das heißt: In Tschechien stocken auf 1.376.000 ha Fichten. Bei einem angegebenen durchschnittlichen Vorrat von 261 fm/ha wären das 360 Mio. fm Fichtenstammholz. Im Vorjahr wurden 18 Mio. fm Fichte geerntet. Mit diesem Tempo kämen also noch zwei Jahrzehnte Schadholz im katastrophalen Ausmaß des Vorjahres auf den Markt.

Heuer schlimmer als im Vorjahr

Für Deutschland und Österreich muss man davon ausgehen, dass der Schadholzanfall 2019 höher sein wird als der des Vorjahres. In Deutschland waren es laut Destatis im Vorjahr 31,9 Mio. fm Schadholz. Davon dürften unter anderem rund 11,3 Mio. fm Käferholz gewesen sein, 18,4 Mio. fm forderten die Sturmereignisse. Im Juni überstiegen in Thüringen die Käferfangzahlen die des Vorjahres um das 40-Fache. So erahnt man, was noch kommen wird.

In den deutschen Schadgebieten gibt es keinen echten Marktpreis mehr. Ab einer gewissen Angebotsmenge sei der Preis vielfach sekundär. „Als Betteln um eine Mehrabnahme“, wird der Verkauf dort von betroffenen Waldbesitzern beschrieben.

Marktethik versus harte Zahlen

Vonseiten der Käufer wird im Idealfall ein „politischer/ethischer“ Preis angelegt: Wie viel ist angemessen, um meinem Partner zu helfen? „Aber die Lage ist eigentlich recht einfach: Niemand kann es sich leisten, um 5 €/fm mehr zu bezahlen, als es der Markt zuließe. Sonst kommt man selbst in Schwierigkeiten“, formuliert es ein großer Rundholzeinkäufer. „Marktethik versus harter Zahlen: Keiner kann es sich erlauben, gegen den Markt zu agieren. Zumal die Erlöse der deutschen Sägewerke nicht mehr die sind, wie sie noch im Vorjahr waren.“

Selbst 1 €/fm am Stock war schon vor Monaten ein Preis, der in den Schadregionen vorkam.

Zu wenig Aufarbeitungskapazität

Der Schadholzanfall ist regional viel höher als die Aufarbeitungskapazität. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass eine relevante Schadholzmenge erst 2020 aufgearbeitet werden kann. Die vielfach ausgedünnte Personaldecke und abgebaute Forsttechnik-Infrastruktur aller Waldbesitzarten rächen sich nun und können nicht rasch verändert werden.

Eine Höhenangabe zu machen, ab der die Fichte keine Existenzchance mehr hat, ist unmöglich. War der Borkenkäfer im Vorjahr in Österreich flächig bis 600 m aktiv, so finden sich diese Schäden heuer schon auf 700 m. „Genauso wichtig wie die absolute Veränderung in Grad Celsius oder Millimetern Niederschlag ist auch die relative Veränderung. Die kann mitunter auf 400 m Seehöhe geringer sein als auf 800 m – dann geht aber das ökologische Gleichgewicht auf 800 m Seehöhe noch rascher verloren“, mahnt ein Gesprächspartner. Dann ginge es der Fichte eventuell auf 300 m besser als auf 600 m.

Zwei, drei oder gar zehn Jahre?

Keiner kann heute sagen, wie lange das Schadholzaufkommen in Mitteleuropa so hoch bleibt wie derzeit. „Zumindest in den kommenden zwei, drei Jahren“, hörte man im Vorjahr noch als Vorhersage. Heuer meinen einige bereits, „dass es noch zehn Jahre so weitergehen kann“. Nasse, kühle Jahre würden den Anfall nur verzögern, aber nicht stoppen. Und das ist der große Unterschied: Selbst bei den schlimmsten Stürmen der Vergangenheit konnte man erahnen, wann sich die Lage wieder normalisiert. Derzeit fehlt jeglicher Silberstreif am Horizont.

Der Autor ging – geprägt von den Erfahrungen aus bald drei Jahrzehnten Branchenjournalismus – davon aus, dass es spätestens im Herbst einen stärkeren Frischholzbedarf geben muss. Was diesmal ebenfalls neu ist, ist die Tatsache, dass sehr viel Holz in die BSP-Fertigung geht. Und diesen Produzenten reicht vielfach der Qualitätsmix, den sie mit dem Schadholz bekommen. Schlechtere Qualitäten verschwinden in der Elemente-Mitte. Die Topqualität bildet die Oberfläche, die sich noch ausreichend erzeugen lässt.

Noch stimmt Qualität

Die Rundholzqualität ist derzeit also noch nicht das große Thema, da die Basisversorgung mit ausreichend guten Qualitäten noch stimmt. Die Anlage eigener oder gemeinsamer Nasslager ist eine weitere Möglichkeit, Qualitäten zu sichern. Das ethische Dilemma des derzeitigen Holzmarktes: „Niemand kann sagen: Die abgestorbenen Bäume lass‘ stehen, die guten gib mir.“

Für gewisse Absatzmärkte fehlen allerdings bereits jetzt Qualitäten, für andere gibt es zu viel. Bei der Schnittware hat der Markt noch nicht gravierend darauf reagiert – einzige Ausnahme ist die Anfallware.

Kiefer hat ebenfalls Probleme

Ebenfalls neu ist, dass derzeit neben der Fichte auch trockenstressresistentere Baumarten betroffen sind. Wie etwa die Kiefer. Hier sind es primär Trockenschäden, sekundär dann die einschlägigen Borkenkäferarten, die auftreten. Die Buche, im Waldumbau in Deutschland über Jahrzehnte gefördert, hat ebenfalls Probleme. Speziell Thüringen und Hessen sind betroffen. Während Fichtenschadholz relativ gut in Sägewerken verwendbar ist, gibt es Buchensortimente, die „niemand“ will – etwa Buchenstarkholz, das weder für die stoffliche noch thermische Nutzung gesucht wird. Was macht man damit?

Daher ist es ein Gebot der Stunde zu überlegen, wie schlechtere Qualitäten verwertet werden können. Neben der erwähnten Fichte, der Kiefer und der Buche sind faktisch auch alle anderen Baumarten betroffen.

Probleme, positiv zu wirtschaften

Der Schadholzanfall betrifft Waldbesitzer aller Größenordnungen. Schon im Vorjahr gab es zumindest eine deutsche Landesforstverwaltung, die negativ bilanzierte. In Thüringen und Sachsen hört man, dass Zuschüsse aus den Landesbudgets kommen müssen. In Sachsen und Brandenburg stehen nun Landtagswahlen an – hier wird wohl Geld fließen.

Selbst der Gigant BaySF (5,3 Mio. fm/J Einschlag) hat für heuer laut Vorstandsvorsitzendem Martin Neumeyer nur eine schwarze Null geplant. Ob das angesichts des anhaltenden Frischholzeinschlag-Stopps noch möglich ist, ist fraglich. 

Außerdem wird sich zeigen, was der Rundholzpreis in Bayern weiter macht. Im Juli 2019 lag dieser um gute 10 €/fm oder 15 % unter dem schon abgesenkten 2019er-Preis.

Forstreform obsolet?

Doch Erleichterung kommt in Bayern möglicherweise von ganz oben: Ministerpräsident Dr. Markus Söder gab vor, dass die „BaySF nicht mehr hauptsächlich Geld verdienen müssen“. Das wäre faktisch eine Rücknahme der Forstreform von 2006. In den lukrativsten Zeiten (2013/14) machten die BaySF knapp über 70 Mio. €/J Gewinn.

Charakteristika des Niedergangs

Der Schadholzanfall in Mitteleuropa ist ohne Beispiel – weniger hinsichtlich der Menge als anderer Begleitumstände:

  • Es ist kein Ende absehbar.
  • In gewissen Wuchsregionen kann es zum Ausscheiden einer/mehrerer Baumarten kommen.
  • Alle Baumarten sind betroffen.
  • Das Ausmaß übersteigt derzeit die Aufarbeitungskapazität.
  • Unsicherheit bezüglich der Baumarten, mit denen man für die Zukunft planen kann/soll.
  • Gegenwärtig ist der Frischholzbedarf gedeckt.