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Das Projekt Via Cenni ist fast fertig: Man arbeitet momentan an der Fassade und dem Innenausbau - noch heuer sollen die ersten Bewohner einziehen © Michael Reitberger

Legno in Citta

Ein Artikel von DI Michael Reitberger | 02.04.2013 - 09:10
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Das Projekt Via Cenni ist fast fertig: Man arbeitet momentan an der Fassade und dem Innenausbau - noch heuer sollen die ersten Bewohner einziehen © Michael Reitberger

Als holzaffiner Mensch fühlt man sich hier geborgen. Der Gang durch 6100 m3 Holz ist sogar erstaunlicher, als anfänglich erwartet. Denn: Wer bereits das mächtige Holzbauprojekt in der Wiener Wagramer Straße aus nächster Nähe kennt, ist einiges gewohnt. Der Bau an der Via Cenni in Mailand setzt doch deutlich noch „was drauf“. Vier neungeschossige Holztürme mit je 27m Höhe sind hier entstanden. Sie werden von zweigeschossigen Holzbauten verbunden und formen zusammen auf über 10.000 m2 Nutzfläche den bisher größten Holzbaukomplex in Europa. Der Bau soll als sozialer Wohnbau dienen, beherbergt 124 Wohnungen zwischen 50 und 100 m2 und bietet in den Erdgeschossen auch Platz für Geschäfte und Zentren des gemeinsamen Lebens.

Soziales Wohnen zwischen Stadt und Natur

Besonders die Gemeinschaft stand laut Architekt Prof. Arch. Fabrizio Rossi Prodi bei der Planung im Vordergrund. Auf dem Areal sollen die Bewohner soziale Verbindungen zueinander bilden. Ziel war es, an unterschiedliche Familiengrößen und persönliche Bedürfnisse angepasste Wohnungen anbieten zu können. Laut Prodi war deshalb die Individualität der Wohnräume ein maßgebliches Kriterium für einen modernen Holzbau. Er setzte damit konsequente Anforderungen an das Baumaterial Brettsperrholz. Das Modell für dieses Konzept entlehnte der Architekt aus der Idee des Lebens auf einem Bauernhof. In der Via Cenni solle eine Verbindung zwischen Natur und gesellschaftlichem Leben geschaffen werden, wie auf einem Bauernhof. Dafür werden große Teile des Geländes begrünt und mit Bäumen bepflanzt. Den 1000 m2 großen „Park“ rund um die Holztürme will man schließlich allen Mailändern zugänglich machen.

Holzbau soll alltäglich werden

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© Michael Reitberger

„Heute wollen wir einen Wandel einleiten, später sollen solche Bauten alltäglich werden“, ist sich die promo_legno-Verantwortliche Lorena de Agostini sicher. Als Pilotprojekt stellte die Errichtung der „Via Cenni“ eine spezielle Herausforderung für den Auftraggeber Polaris Investment Italia, Figino, sowie die ausführenden Unternehmen und Ingenieure dar. In einem Private-Public-Partnership-Modell sind Banken, Unternehmen und die Region selbst daran beteiligt. Die Abwicklung vor Ort leistete ein Konsortium aus Generalunternehmer Carron Spa, Treviso, und der Holzbaufirma Service Legno, Treviso. Die 6100 m3 BSP lieferte Stora Enso, Bad St. Leonhard.
Laut Bauleiter Arch. Michele D’Ambrosio liege die Baustelle im Interessensfokus vieler großer Business-Player. Denn es sei das erste Mal, dass man in Italien in so großem Stil mit Holz baut. Seiner Aussage nach ermögliche das die moderne industrielle Fertigung von Holz, welche jener von Beton oder Stahl in nichts nachstehe. Dementsprechend hochwertig sei auch die Ausführung vor Ort: „Alle Wohnungen sind nach höchsten Standards inklusive Bodenheizung und Lüftungsanlage gebaut“, so D’Ambrosio.

Brandschutz kein Problem?

Selbst Treppen- und Liftkörper des Mailänder Holzbaus sind aus BSP. Die Holzplatten ermöglichten die Ausführung eines Kastentragwerks, das aus den Wänden und Decken des Gebäudes gebildet wird. Wie erwartet, musste Tragwerksplaner Prof. Ing. Andrea Bernasconi erhöhte Konzentration für die Erdbebensicherheit des Konstrukts aufbringen: „Mailand ist zwar sicher kein Zentrum erhöhten Erdbebenrisikos, aber in Italien ist man generell besonders empfindsam bezüglich dieser Thematik. Da wir über vier Stockwerke hinaus gebaut haben, brauchten wir eine Sondergenehmigung.“ Bernasconi erklärt, dass sich die vier Holztürme, welche jeweils eine Grundfläche von 13,5 mal 19 m ausbilden, zwar äußerlich sehr ähnlich, aber aus Sicht der Tragwerksplanung nicht identisch sind. Statisch getrennt von den zweigeschossigen Bauten, wurde jeder Turm einzeln gerechnet.
Für die Wände im Erdgeschoss kommt 20 cm dickes BSP zum Einsatz. Nach oben hin abnehmend, sind es im zweiten, dritten und vierten Stock nur noch 18 cm dicke Elemente. Decken mit einer Spannweite von bis zu 5,8 m sind 20 cm stark. Spannweiten bis 6,7 m überbrückte man mit 23 cm starkem BSP. „Mit dieser Ausführung haben wir sowohl den statischen Anforderungen als auch jenen bezüglich des Komforts Genüge getan“, so Bernasconi. Den Brandschutz habe man nach geltenden Vorschriften behandelt und durch die Doppelbeplankung mit Gipskartonplatten Widerstandsklasse RE60 erreicht. In Italien gibt es für Holzbauten keine Sonderbestimmungen bezüglich des Brandschutzes. „Brandschutz war nicht das Hauptproblem. Auch der Fluchtweg geht über die Stiegenhäuser. Brandüberschlag an der Fassade ist in Italien ebenfalls kein Thema“, informiert Bernasconi kurz und bündig.

6100 m3 in drei Wochen

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Holz bis zum letzten Stock: Brandschutz stellte in der Via Cenni kein besonderes Problem dar © proHolz

Im Juni 2012 wurde mit den Bauarbeiten für den Holzbau begonnen. Acht Monate später feierte man Dachgleiche. Derzeit montiert man die Fassade und beginnt mit dem Innenausbau. Noch im laufenden Jahr sollen die ersten Bewohner dann einziehen können. „Für Stora Enso war die Via Cenni das bisher größte Projekt“, offenbart Gernot Weiss, Verkaufsleiter CLT bei Stora Enso. Die Größe sei aus Sicht des BSP-Lieferanten aber kein Problem: „Theoretisch könnten wir ein Projekt dieser Größenordnung in knapp drei Wochen produzieren.“

Situation in Italien

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Gewaltige Holzbau-Dimensionen: Allein die Holztürme umfassen 36 Geschosse © Michael Reitberger

„Was die erlaubten Bauhöhen anbelangt, ist die Situation in Italien inzwischen vergleichbar mit der in Großbritannien“, informiert Geschäftsführer Georg Binder von proHolz Austria. Waren zum Zeitpunkt der Projektierung des Wohnbaus Via Cenni Bauten mit Holz noch auf drei Geschosse limitiert, sei 2011 unter Mario Monti diese Beschränkung aufgehoben worden. Gebremst werde der Höhenflug des Holzbaus in Italien jedoch von der wirtschaftlichen Situation, welche auch massiv negativen Einfluss auf den Bausektor nehme. Trotz aller Schwierigkeiten bestehe in Italien aber erhöhter Bedarf an leistbarem Wohnraum. Impulse, um solchen unter Berücksichtigung ökologischer Bautechnologien zu schaffen, seien vorhanden. Nebenbei plane man auch, im Zuge der Expo 2015, die in Mailand stattfindet, einige dafür notwendige Bauten in Holzmodulbauweise zu errichten.
Das Projekt in der Via Cenni führt imposant vor Augen, dass mehrgeschossiger Holzbau bis neun Geschosse Stand der Technik ist. (Unter Fachleuten spricht man sogar von zehn Geschossen.) Es beweist, dass, wenn man in Holz bauen darf und die Reglementierungen nicht zu streng sind, in sehr kurzer Zeit moderne, technisch einwandfreie und günstige mehrgeschossige Holzbauten in bisher kaum da gewesenen Dimensionen entstehen können. Die „Via Cenni“ ist ein zusätzlicher Meilenstein auf dem Weg zur Selbstverständlichkeit gegenüber dem Holzbau.