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Sicht frei auf das Hochschwabmassiv: Großzügige Verglasung sorgt für Weitblick und Wärme © Simulation: Solar4alpin

Zwiebelschalenprinzip

Ein Artikel von Administrator | 11.03.2004 - 00:00
Wanderer kennen das Zwiebelschalenprinzip: Mehrere Lagen Kleidung übereinander getragen ermöglichen eine gut dosierte Abstimmung auf wechselnde Witterungsbedingungen und körpereigene Wärmeproduktion. Am Hochschwab wird dieses Prinzip nun für den Bau einer Schutzhütte adaptiert.
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Sicht frei auf das Hochschwabmassiv: Großzügige Verglasung sorgt für Weitblick und Wärme © Simulation: Solar4alpin

Neubau statt Renovierung. Das Schiestlhaus liegt in 2154 m Seehöhe, knapp unterhalb des Hauptgipfels des Hochschwabs. Es wurde 1884 errichtet und befindet sich in einem desolaten Zustand. Dem Besitzer, dem Österreichischen Touristenklub ÖTK, schien eine Renovierung der Bausubstanz nicht mehr sinnvoll. Stattdessen wurde beschlossen, einen Neubau an Stelle der alten Berghütte zu setzen.Von der Studienarbeit zur Realisierung. Bereits vor 4 Jahren entwarf DI Marie Rezac - damals noch Studentin an der TU Wien - ein Passivenergie-Holzhaus für Extremlagen. Die Idee wurde vom Haus der Zukunft ausgezeichnet und als Forschungsprojekt „alpiner Stützpunkt Schiestlhaus” weiter entwickelt. Der Entwurf für das Projekt stammt von der Arbeitsgruppe Solar4alpin, der neben Rezac DI Fritz Oettl, DI Dr. Karin Stieldorf und Dr. Martin Treberspurg angehören. Realisiert wird es von den Architektenteams Pos und Treberspurg & Partner. Der ÖTK tritt als Bauherr auf. Die Finanzierung konnte durch Förderungen des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie, dem Land Steiermark und der Gemeinde Wien gesichert werden.Obdach für Pilger. Der exponierte Standort und die Witterungsbedingungen gaben die Rahmenbedingungen für die Planung vor. Windgeschwindigkeiten bis 200 km/h, extreme Temperaturen und eine höhere Sonneneinstrahlung waren zu berücksichtigen. Dazu kommt eine starke Schwankungsbreite des Besucherstromes. Der Hochschwab ist von Wien aus günstig zu erreichen und zieht an Herbsttagen mit idealem Wanderwetter Hunderte von Bergsteigern an. Besonders großer Andrang herrscht an den beiden „Pilgerwochenenden”, wenn der Strom der Wallfahrer nach Mariazell über den Hochschwab zieht.Intelligent wachsen und schrumpfen. Um diesen unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden, wurde das Zwiebelschalenprinzip angewandt. Auf ihm beruht das Konzept eines Gebäudes, das „intelligent wächst und schrumpft” - und zwar abhängig von der Besucherzahl und der Witterung. Die beheizte Küche bildet die Kernzone. Wie bei einer Zwiebel gruppieren sich um sie herum die weiteren Räume in Temperaturzonen. Bei Schlechtwetter - wenn sich der Besucherandrang in Grenzen hält - sind nur die inneren, wärmsten Zonen in Betrieb.
Bei Bedarf können die äußeren Zonen „dazugeschaltet” werden. Da der Besucherstrom mit dem Wetter korreliert, sind Tage mit großem Andrang meist auch Tage mit stärkerer Sonneneinstrahlung, das Gebäude wird passiv erwärmt. Wind als statische Herausforderung. Die Nutzfläche des Gebäudes beträgt 505 m², welche sich auf 3 Geschosse verteilen. So ist Platz für 70 Schlaf- und 160 Sitzplätze im Haus und auf der Terrasse. Im massiv gebauten Sockel ist die Haustechnik untergebracht. Dazu gehören eine biologische Kläranlage und ein Brauchwasser-Behälter für 34.000 l Regenwasser, das über das Dach aufgefangen wird.
Die Obergeschosse entstehen in Holzriegelbauweise. Die hohen Windgeschwindigkeiten und die zu erwartende Schneelast stellen große Anforderungen an die Statik. Die Kräfte werden von den Außenwänden und außerdem von 5 innen liegenden Achsen abgefangen, die im Obergeschoss als tragende Querwände ausgeführt sind. Um in der Gaststube ein offenes Raumkonzept zu verwirklichen, übernehmen Stahlrundrohre als Diagonalstreben die Funktion der Achsen.
Die Außenmauern bestehen aus einem konstruktiven Kern mit 24 cm TJI-Elementen und dazwischen liegender Wärmedämmung. Im Inneren sind OSB-Platten mit Dampfsperren und 3Schicht Platten angebracht. Außen schließen eine winddichte und dampfdurchlässige Folie sowie eine Lärchenschalung vor einer 3 cm starken Luftschicht die Gebäudehülle ab. Maximale Öffnung zur Landschaft. Die Stube im Untergeschoss ist nach Süden hin weitgehend verglast. Dies dient vor allem der passiven Energiegewinnung. Es entspricht zudem dem architektonischen Prinzip der maximalen Öffnung zur Landschaft, wobei sich die Ausrichtung nach Süden hin aus den Vorgaben des Standorts von selbst ergibt.
Die Fassade des Obergeschosses ist mit 68 m² Photovoltaik-Paneelen verschalt. Damit kann ein großer Teil des benötigten Stroms autark über Sonnenenergie erzeugt werden. Als Backup dient ein Generator, der mit Pflanzenöl betrieben wird.Per Hubschrauber zum Bauplatz. Die alpine Insellage mit ihrer meteorologisch bedingten kurzen Bausaison und den eingeschränkten Transportmöglichkeiten macht es notwendig, Bauteile in hohem Maß vorzufertigen und gleichzeitig deren Größe und Gewicht so zu bemessen, dass eine Anlieferung per Hubschrauber möglich ist.
Die Holzfertigteile dürfen 1500 kg wiegen, ihre Größe ist wegen der Windanfälligkeit beim Transport limitiert. Die Fertigstellung des Hauses ist für heuer geplant.Modellbau. Das Schiestlhaus soll als Modell für ein energie- und ressourcenbewusstes Bauen in Extremlagen fungieren, sowie als Experiment, aus dem Erkenntnisse über die Sanierungen alpiner Stützpunkte gezogen werden können. Gleichzeitig soll es den aktuellen Stand der Passivhaus-Technologie in exponierten Lagen dokumentieren.